ARBEiTSTiTEL:

ABSTRACT

Drei Abiturienten rasen ´87 aus einer niedersächsischen Kleinstadt mit einem Opel Ascona direkt an die jugoslawische Adria.

Es wird wild - einer kommt nicht zurück.

ERZÄHLWEiSE:

Ich-Perspektive, Allwissender Erzähler (auktorial)

Der Autor berichtet aus der Perspektive der Hauptperson André mit teilweise jugendlicher Sprache. Oft streut er Zitate aus der damaligen Popkultur ein, verfällt begeistert in Stakkatostil, um sich dann wieder in Abiturientenklugheiten zu ergehen. Ab und an passieren Zeitsprünge. Die Sprache und die Wahrnehmungen des Autors reifen im Laufe der Geschichte - dabei kratzt er oft am Aberwitz.

KONKURRENZ:

Da sage ich und alle Leser eindeutig «Tschick». Das Buch hat mich inspiriert, beflügelt und bestärkt und ich verehre es.

USP?

Bei ´87 sind die Figuren älter, die Handlung ist komplexer und der Schauplatz mit seiner Historie wichtiger Bestandteil der Handlung.

UMFANG:

Das Buch hat mit der vorläufigen Formatierung, die sich an Standards orientiert, 260 Seiten.

TERMIN:

Das Buch ist «fertig» , wurde mehrmals überarbeitet und hat bei über einem Dutzend Testlesern Eindruck hinterlassen.

Als Erscheinungstermin passt zeitlich der Sommer.

DIE FIGUREN

Oder... Drei ist immer eine schlechte Zahl.

FRANK

war immer der Fahrer. Still und nicht dumm, aber nicht wirklich zu durchschauen und nur ganz praktisch, weil schon früh mit einem amerikanischen Führerschein ausgestattet, der ihn in den Jahren zuvor zum unersätzlichen Teil einer losen Clique machte bei nächtlichen Fahrten durch Niedersachsen.

MARC

Frauenschwarm und Tausendsassa. Sieht gut aus, ist intelligent und charismatisch und hat schon früh das Leben und die Welt verstanden, was die anderen aber erst merken, als es bereits zu spät ist. Gibt den Mittelpol in dem Trio und ist Versöhner und Glätter zugleich.

Er stirbt!

ANDRÈ - der Ich-Erzähler

Ein Spätentwickler mit sehr alten Eltern, der in der Schule mehr träumt als lernt und vieles kann, aber nichts versteht, bis er in den Lauf einer Pistole schaut. Das passiert, nachdem er der romantisch verliebt, die Gruppe verlässt und sich völlig unvorbereitet als Tramper betätigt.

DETLEF

Eigentlich Randfigur, die sich mit ihrem schlichten Ruhrpott-Charme unserem Trio aufdrängt und das leicht schnöselige Abituriententrio kontrastiert und am Ende den Ich-Erzähler André rettet.

iNHALTSANGABE:

Marc, Frank und André haben die Schule fast hinter sich und stürzen sich in rasanter Fahrt ins Leben. Mit einem Auto voller lauter Musik fliegen sie in einem Tag aus Norddeutschland hinab an die istrische Adria, um dort auf einer Insel zwei Wochen zu campen.

Camping auf einem großen Stein ist aber nicht so der Hit, also nehmen sie nach einer Nacht die Fähre zurück und landen in einem verträumten Hafenstädtchen. Bereits nach ein paar Tagen abendlichen Feierns zeigen sich erste Verwerfungen in der Freundschaft. Discomusik und jede Menge Alkohol und Frauen rauschen an den Dreien vorbei, bis nach ein paar durchzechten Nächten die Luft raus ist. André ist verliebt in Renata, Frank will lieber an der Ostsee surfen und Marc ist der mittelnde Pol irgendwo dazwischen. Dazu gesellt sich Detlef, die Urlaubsbekanntschaft aus dem Ruhrpott und viertes Rad am Wagen. Freundschaften kommen an ihre Grenzen.

Die Mehrheit entscheidet - nach einer Woche fahren die Drei frühzeitig mit dem geliehenen Ascona durch die Mitte Europas zurück, als André plötzlich an der Grenze aussteigt, das Auto seiner Mutter den beiden Freunden überlässt und sich als Tramper auf den Rückweg zu Renata macht. Eine Odyssee durch das noch träge in der Sonne liegende, friedliche Jugoslawien beginnt, in der der völlig unerfahrene Tramperneuling an die Grenzen der Legalität stößt und um sein Leben fürchten muss. Zwischen LKW und Autowracks findet er trotz eines abenteuerlichen Umweges seinen Weg, lernt seine eigenen Grenzen kennen und schafft es endlich zurück in den Urlaubsort, doch dort ist dann alles anders als erhofft.

Die Reise endet mit einer Desillusion: Renata hat einen Freund und der beschwerliche Weg war wohl eher das Ziel. André zieht sich still zurück und nimmt reumütig und voller Sehnsucht den Weg nach Hause zu seinen Freunden. Er ist gereift und weiß aber noch nicht wie wichtig diese Reise für ihn ist, bis er in der Heimat am Grabe seines Freundes steht.

Ein Buch über das Erwachsenwerden und die Naivität, die uns ein Leben lang begleitet.


DAS GENRE:

ZiELGRUPPE:

LESEPROBEN:

Es folgen exemplarische Leseproben aus verschiedenen Kapiteln des Buches. Die Sprache und die Betrachtungen des Autors wandeln sich im Lauf der Erzählung, deshalb springe ich durch das Buch. Gibt es auch alles zusammen als PDF.

KAPiTELÜBERSiCHT

  • WIDMUNG
  • KAPITEL 1:DAS AUTO WAR SCHWARZ
  • KAPITEL 2:OPELASCONA 1,6 LITER HUBRAUM FLIESSHECK-ANTHRAZIT
  • KAPITEL 3:DIE FÄHRE
  • KAPITEL 4:KÄFER UND DIE MOTORHAUBE
  • KAPITEL 5:THE PASSENGER
  • KAPITEL 6:SCHÜCHTERN
  • KAPITEL 7:DIE WELT WIRD GEBOREN
  • KAPITEL 8:NICOLA
  • KAPITEL 9:HOT CHOCOLATE
  • KAPITEL 10:MAXWELL
  • KAPITEL 11:KOTZEN
  • KAPITEL 12:SEXY THING?!
  • KAPITEL 13:DETLEF
  • KAPITEL 14:RENATA
  • KAPITEL 15:ALTBIERBOWLE

Kitsch, aber schön.

Damit führe ich den Erzähler ein, gebe dem Buch eine Richtung und deute durch die Widmung zugleich eine Dramatik an, die man erst in der zweiten Hälfte des Buches erfahren wird. >

WIDMUNG

Marc starb und ich konnte nie wieder telefonieren.

Meine Kindheit hatte ein abruptes Ende genommen - auch wenn ich schon mitten in der Jugend steckte, wie man dem Alter nach vermuten sollte.

Jahre zählten aber gar nichts, wenn man plötzlich dem Tod gegenüber stand und so brach ich stumm zusammen.

Keine Liebe der Welt konnte die Zeit aufwiegen, die wir nie wieder haben sollten.

Keine Zeit der Welt und keine Liebe.




Kapitel 1

Die Geschichte startet nachdem der Ascona bereits den halben Kontinent hinter sich gelassen hat

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Kapitel 1 DAS AUTO WAR SCHWARZ

Schwarz-Metallic-Anthrazit, um genau zu sein, und nur diese Attribute machten es erträglich. Das war aber auch schon alles Erwähnenswerte an dem Opel Ascona, den Frank über die istrische Küstenstraße lenkte. Anthrazit-Metallic - nicht einfach nur schwarz. Rechts waren im Abstand von circa 20 Metern massive Steinpoller aufgesetzt und dahinter ein gnadenlos schöner Blick auf die Adria, die sich in myriadenfachen Spiegelungen der Sonne brach. Der Verkehr rauschte in einer endlosen Schlange die Mäander des schroffen Gebirges entlang. Die Sonne knallte erbarmungslos von vorne auf das Land und warf harte Schatten hinter die Felsen, die seit Tausenden von Jahren der Hitze trotzten. Der Takt des Verkehrs wurde bestimmt durch rußende Lastwagen. Wie Kettenglieder klebten sie auf dem Asphalt der Straße, dazwischen Ladas und Fiats, die in waghalsigen Manövern die Ordnung durchbrachen. Was passierte, wenn man beim Überholen etwas falsch machte, konnte man als Beifahrer in den scharfen Kurven sehr gut beobachten. Ich schwitzte und war erschöpft von halb Europa, das wir hinter uns gelassen hatten. Die letzten 3oo KM war ich gefahren und saß jetzt quer auf Rückbank. Mein Blick schwebte draußen vor dem Fenster. Unterhalb des Adriablicks lagen in fast regelmäßigen Abständen Wracks von Lastern und Autos jeglichen Alters in einer Gesteinskulisse, wie sie urwüchsiger und brachialer nicht sein konnte. Alle gemeinsam hatten sie den Tod und die Verwesung. Totalschaden, ausgebrannt, Unfallursache: Sturz aus großer Höhe. Dazwischen ein paar Haushaltsgeräte und anderer Müll, den man bei uns in der Heimat gerade anfing zu recyclen. Andere Länder andere Sitten, über einiges musste man hinwegsehen, wollte man günstig Urlaub machen. Von der Straße, auf der wir fuhren, waren es gefühlte 80 Meter bis unten. Eine Idylle mit Rost unter der obersten Schicht. Eine Fahrt durch die Sonne, rußige Abgase und nackte, verschwitzte Oberarme der LKW-Fahrer, die aus den dreckigen Fahrerkabinen hingen und uns beim Überholen mit obszönen Gesten bedachten.

»I am living in a box - I am living in a cargo box…«

Zum zweihundertsten Mal schrien wir aus vollen Lungen den Refrain mit und überließen es danach den 120 Watt der Hifi-Anlage den Rest dieser eklektischen Hymne aus England in der Atmosphäre zu verbreiten. Das Auto glühte mit seinem anthrazit-farbenen Lack und alle Scheiben waren unten. Ich hielt meinen Arm in den warmen Fahrtwind und grinste matt in die Sonne .

Man fuhr Super, verbleit. Wir rasten zwischen karstigen Bergen, Meer und Gräbern entlang der Küste und fühlten uns frei wie nie zuvor in unserem Leben. Nach 13 Jahren Schule konnte man sich nicht besser fühlen.


NACH KAPITEL 1 EIN SPRUNG ZU KAPITEL 5: THE PASSENGER.

• Die Protagonisten haben nach dem Erreichen des Campingplatzes auf der Insel KRK das Campen schnell aufgegeben

• Sie sind am Festland in einer kleinen Pension untergekommen

• Sie stürzen sich ins Nachtleben

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Kapitel 5 THE PASSENGER

Disco war was anderes. Das hier war wohl ein Club. Abseits von Hafen, Markt und Uferpromenade und den erleuchteten Cafes des Ortes lag der Eingang zu dem kleinen Etablissement in einer engen Gasse. In der Erinnerung ein dunkler Raum mit einer Tanzfläche und vielen Schatten - damals ein Club.

Und Iggy Pop…

The Passenger war offenbar eine der wenigen Platten, die es aus dem europäischen Raum bis nach Senj geschafft hatten und war keine auf Cassette aus dem Radio mitgeschnittene Urlaubs-Trashmucke. Unseren verwöhnten Ohren kam das bekannt und tanzbar vor. Männer, die wir ja nun mal werden sollten, soffen und gingen dann auf die Tanzfläche, um ihre steife Hüften mit immer mehr Promille in mehr oder minder rhythmische Zuckungen zu versetzen. Tanzen konnte und sollte das jedenfalls niemand nennen.

«... and I ride and I ride through the cities by night… I am the passenger…»

Man definierte sich über die Coolness des Songs und grölte die Textzeilen, die man verstand, mit - auch wenn man vielleicht nicht immer die textuelle Deutungshoheit hatte.

«... along the cities at night…»

Marc hatte wie immer eine Flasche in der Hand, und Frank und ich konnten dem nicht nachstehen. Wir bildeten ein besoffenes Iggy-Pop Dreieck und warteten auf den anderen großen Song des Abends. Mir war ein wenig schwindelig, ich schwitzte, die Menschen um mich herum waren unscharf, aber genau so musste das sein. Seit dem 15. oder 16. Lebensjahr - immer wenn man gezwungen war, sich einer Tanzfläche auszuliefern, einem kultischen Ort aus früheren heidnischen Zeiten - dann nahm Mann oder Junge raume Mengen - vorzugsweise Bier - in sich auf, um die Motorik auf die im Raum verbreiteten Schallwellen und Frauenkörper zu synchronisieren… so in etwa… Prost.

Wir soffen wie die Löcher und hatten das nächste Bier quasi immer schon in der Hand. Große, Halbe-Liter-Flaschen mit einem labbrigen Etikett und wegzutrinken wie Saft für unsere durch Jever, Flensburger und Elephantbier gestählten Nordmannkehlen. Das hier war kein Bier… da war kein Alkohol drin…

«...we could be heroes…»

Bowies Stimme bildete einen aristokratischen Gegenpol zu einer der wohl jauligsten Gitarren aller Zeiten und wir konnten jetzt die Tanzfläche unmöglich verlassen. Hatte uns der Passenger eher depressiv und leicht gruftig auf der Stelle wandern lassen, so ging Bowie in die Brust und Stirn und die Hymne schoss aus uns wie Laserstrahlen gen Decke des düsteren und einfachen Örtchens...

«I drink all the time…»

Das war mehr als eine Botschaft - das war das Etikett einer Generation, die wir wohl gerade mit frischem Blut füllten. Da trank jemand und da liebte jemand seine Königin und wünschte sich mit ihr wie die Delphine durch das Wasser zu gleiten. Toll - aber auch albern, denn noch niemand von uns hatte jemals eine Bowie-Platte besessen. So etwas besaßen große Brüder, von denen ich leider keinen hatte, oder bei manchen sogar die Eltern. Man übte seinen Hüftschwung und drehte sich im Kreis der circa 40 Menschen, die auch auf dem Blechteppich ihre Körper verformten.

Sie war groß und schlank und hatte wunderbar lange dunkle Haare. Alles andere war mir egal, denn es war eh zu spät für eine andere Konfiguration meiner Pheromone.

“...you could be my queen…»

Bowie sägte weiter durch meine Hüfte und meinen Schädel.


NUN SPRUNG ZU KAPITEL 7 : DIE WELT WIRD GEBOREN

• Die Drei haben sich durch einige Nächste gesoffen und sind selten nüchten

• Marc & André treiben alleine durch das Örtchen auf dem Rückweg zu ihrer Pension

• Und werden Zeuge der Schönheit von Schöpfung und Natur

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Kapitel 7 DIE WELT WIRD GEBOREN

Dass Meeresstrand nicht unbedingt Sand bedeutete, hatten wir schnell gelernt. Vielleicht hieß Istrien übersetzt auch so etwas wie Geröll. Man wurde das Gefühl nicht los, dass touristische Kataloge, sofern es sie denn gab und wir sie gar zur Planung unseres Trips genutzt hatten, die offenkundige Allgegenwärtigkeit von großen, plumpen aber auch spitzen und kantigen Steinen geschickt verschwiegen. Hier musste man ganz schön flexibel sein, wollte man sich auf einer der wenigen körpergroßen freien Flächen mittels Handtuch als Badegast betätigen.

Für mich war das jedenfalls kein Strand, den uns das kleine Örtchen Senj präsentierte, in dem wir nach unserer Flucht von der Insel gelandet waren. Und das war auch kein Badeurlaub, was uns in den tageshellen Phasen unseres Aufenthaltes hier abverlangt wurde.

Strand 5 minus - Versetzung gefährdet!

Das machte keinen Spaß und nicht selten erwischte ich mich dabei, nach einer Gerölllawine Ausschau zu halten, die neue Brocken aus dem stark ansteigenden Hinterland hinab an die Küste befördern würde.

«Tod durch Steinigung» - und das im Urlaub!

«Samstagnachmittag kurz vor der Sportschau.»*1

Man saß also auf irgendwelchen kantigen Steinen und stakste zur Abkühlung auf tastenden Zehen in das Meerwasser, um sich dann doch lieber auf einer Luftmatratze treiben zu lassen. Tagsüber jedenfalls - oder besser gesagt nachmittags, wenn wir alle halbwegs ausgenüchtert waren. Heute hatten wir das noch vor uns.

Der Augenblick zum Ende der Nacht war magisch, wie wohl überall auf der Welt. Nüchtern, zu zweit, allein - egal. Die Sonne bereitete sich hinter dem Horizont vor, hunderte Singvögel streckten ihre Gefieder und schlichen durch die Kulissen, während alles Menschliche tief und fest schlief und nur ein einsamer Bäcker oder Marktmann im Stadtbild eine kleine Note der menschlichen Betriebsamkeit setzte. Die Ruhe war schwer und das Meer lag wie ein geschliffener Spiegel an dem steinigen Küstenlauf. Wir torkelten durch den Hafen, denn irgendwann hatten sie kein Bier mehr in der Disco oder auch einfach mal die Schnauze voll von uns grölenden und saufenden Touris. Vorbei am Hafen mit seinem dreckigen, brackigen Wasser, in dem allerlei Fischerboote dümpelten, in Richtung der Ferienwohnung von Mama Monika.

Das Haus lag an der Ausfallstraße des Ortes und blickte mit seinen Balkonen in Richtung Italien auf das Meer. Marc und ich waren wie immer die Letzten und Einzigen.

«Last men standing.»

Frank hatte sich vorzeitig verkrümelt und war wahrscheinlich schon am Pennen. Die kleine linke Lusche. Marc und ich torkelten auf der menschenleeren Straße entlang, deren Asphalt immer noch die Wärme des letzten Tages in sich trug. Wir waren schon ziemlich nah an unserem Domizil, als er plötzlich nach links hinab zum Steinstrand abbog.

Die Treppenstufen, die krumm und ausgetreten vor uns in die Tiefe führten, machten mir weniger Sorgen als die undurchdringliche Dunkelheit dort unten am Wasser. Auch die Treppe hatte die Hitze gespeichert, aber mit jeder Stufe wurde es an den Knöcheln ein wenig kühler. Marc setzte sich auf die Kante des kleinen Anlegers aus grobporigem Beton und ich mich daneben.

Zu trinken hatten wir nichts mehr - also verstand ich nicht so ganz worauf das hier hinaus lief.

«Alter, gleich kriegst Du den Kick Deines Lebens…!»

Marc war immer für jede Überraschung gut und deshalb konnte ich mich entspannen. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett und das Bier wegträumen, das ich in meinem Körper mit mir trug. Das waren Liter und ich überlegte einen Augenblick, ob ich es nicht als Fischfutter in die Adria … Aber nein, auch da war Marc Messlatte. Gekotzt wurde nicht - und wenn dann irgendwann am nächsten Tag und heimlich. Marc sah man den Alkohol eh nie an. Egal wie viele niedersächsische Schafstallpartys wir schon leer gesoffen hatten. Der konnte eine Flasche Gin alleine saufen - mit zwei Flaschen Tonic - und sah besser aus als wir alle daneben. Aber egal - das war jetzt gerade nicht das Thema, denn Marc verharrte in einer entspannten Pose und blickte weit auf das Meer vor unseren Füßen hinaus.

Stille auch hier. Nichts bewegte sich und die kleinen Wellen, die heimlich unter unseren Füßen an die Mauer schwappten, waren dabei so leise, dass das ganze Bild noch unwirklicher erschien.

Gegluckse.

Vielleicht hatte auch ein alter Fisch ein paar Meter vor uns Schlafstörungen und gerade ins Wasser gefurzt, der Spiegel der Adria ruhte unheimlich drei Zentimeter unter den Sohlen unserer Segeltuchschuhe. Keine Wolke am Himmel, kein Boot weit und breit und dazu ein Zwielicht, wie ich es nicht beschreiben kann. Einfach mal die Klappe halten - das musste man nicht sagen, sondern wir taten es. Die Stille war heilig und die Welt war ein Dom und wir waren zwei Priester. Besoffen und voller Andacht.

«Jetzt! Schau!»

Marc deutete auf das Meer hinaus und ich begriff sofort, dass dies ein Bild war, das ich mein ganzes Leben nicht vergessen würde. Aus der eben noch endlos und ohne Kontrast vor uns liegenden dunklen Leinwand war etwas anderes geworden. Die Fläche teilte sich und gab unseren Augen ein Schauspiel, das mich schwindeln ließ. Eine Mauer, ein Horizont, ein Boden, eine Dunkelheit und eine gleißende Helligkeit ergriffen die Bühne, die sich vor uns in die Unendlichkeit zu erstrecken schien.

Ein Drama ohne Ton. Eine Aufführung ohne Schauspieler. Auf uns raste etwas zu, das mir Angst und Freude zugleich bereitete und für eine halbe Sekunde drehte ich den Kopf nach hinten, um Gewissheit zu bekommen, dass ich mich noch immer am Rande eines steinigen Meers befand. Die Sonne kroch mit ihrem oberen Rand über die tiefschwarze Schablone der Bergkette hinter uns. Ich glaubte, einen Sog zu verspüren - mein Blick wieder nach vorne gewandt, sah ich die dunkle weiche Kante immer näher kommen und zugleich an Schärfe gewinnen. Innerhalb von Sekunden erreichte die Kante unsere Füße und durchtrennte diese, während mit aller Sanftheit die Sonne unseren Nacken hinab kroch.Unsere Silhouetten waren für den Bruchteil eines Wimpernschlags kilometerlang und verschmolzen mit den Bergschatten auf dem glatten Spiegel vor uns. Der Spiegel schien in Bewegung zu geraten und begann sein Lichtspiel. Als wenn jedes Wassermolekül nur auf diesen Impuls gewartet hatte, sprangen uns Bazzilliarden glitzernder Lichtpunkte in die Augen. Auf einmal war die Welt wieder die, die wir am Abend zuvor verabschiedet hatten.

Unglaublich! Diese Geburt hatte ich noch nie in meinem Leben so erlebt. Ich war gerührt und paralysiert. Mich durchfloss die Wärme der Sonne, die milliardenfach größer als unser kleiner Planet war und ich bekam eine blasse Ahnung von den Vorgängen, die sich Photosynthese, Spektrallicht oder autotrophe Assimilation nannten … alles wirre Sachen, die einem durch den Kopf schießen, wenn man Zeuge des Göttlichen ist und nicht wirklich steuern kann, was man als nächstes sagt oder tut… geschweige denn denkt. Ich war eins mit dem Erdkreis - so würde ich es sehr lyrisch und poetisch später nennen - und in meiner unendlichen Ratlosigkeit gefangen. Marc hatte sich erhoben und hielt mir seine Hand zum Hochziehen hin. Länger musste man nicht bleiben - dieses Theaterstück dauerte nur Sekunden und wir hatten die besten Plätze. Zusammen torkelten wir die ausgetretene Steintreppe hoch - ohne etwas zu sagen. Was sollte man auch sagen.

Die Natur sprach dafür umso lauter. Es erhob sich ein Getöse: Vögel, Blätter, Wind, Wellen, Hähne und auch ein erstes Auto…

So begann also das Leben - und das jeden Tag. Ich fiel in mein Bett und war glücklich - und immer noch sehr, sehr besoffen. Nie erfuhr ich wie Marc von solchen Sachen eine Ahnung bekam und leider fragte ich ihn nie. Auf die Idee, an einen sandigen Badestrand zu fahren, kamen wir nicht.


NUN SPRUNG ZU KAPITEL 18 : KNACKEN

• André hat sich mit Marc & Frank überworfen. Der Streit über die Länge des Urlaubs führte zu Konflikten

• Andrés Annäherungsversuche an die Angebete sind vielversprechend, doch vielleicht zu romantisch?

• Das findet jedenfalls Detlef...

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Kapitel 18 KNACKEN

Detlef kam aus einer anderen Welt, und das war auch gut so. Für ihn waren Frauen Schnallen, Hasen, Mädels, Perlen und alles mögliche andere noch. So was wie Detlef hatten wir früher bei uns auf dem trockenen niedersächsischen Land nicht. So einer hatte in unserer Clique echt gefehlt. (Welche Clique?)Der Detlef brachte Schwung in jede Bude. Erinnerte mich dabei auch ein wenig an meinen alten Fußballtrainer - den Borsch. Doch hatte ich irgendwann Fußball weggeschmissen - auch wegen Borsch - und auf dem Gymnasium traf man solche Typen dann doch eher seltener. Und deshalb hatten wir so eine Type wohl auch nicht in unserer Clique. (Welche Clique?) Sein Dialekt hatte es mir angetan. Das klang immer ein wenig nach meiner Oma - oder jedenfalls nach den Menschen, die in der Nähe meiner Oma wohnten. Rheinland - tolle Kiste. Mochte ich sehr. Kamelle auf den Kopf… eine Kindheitserinnerung. War ich oft in meiner Kindheit und Jugend und liebte den Ölberg bei Bonn über alles. Das lag aber wiederum auch an dem tollen Essen meiner Oma und Tante, die überhaupt keinen rheinländischen Akzent sprachen - doch wurscht - egal was Detlef quatschte, es hörte sich jemütlich an - ich liebe das Idiom.

«Du musst die Weiber knacken…», irgendwas quasselte er immer und gerade glaubte er, mir wohl Tipps zu meinem Herzschmerz geben zu müssen. Ob er der Richtige für meine emotionale und stark romantisch verfärbte Gemütslage war - keine Ahnung. War gerade niemand anderes da und außerdem wurde es dunkel und ich orderte die dritte Runde.

«Wo sind eigentlich die beiden anderen Fischköpp…?»

Keine Ahnung, war mir auch egal. Mir ging es besser und meinem Magen scheinbar auch. Detlef war wie eine Tablette, und ich bekam Hunger. Der serbokroatische Bohnentopf war schon vergessen und Bier musste auf was schwimmen. Deshalb musste ich Detlef auch nicht lange überreden, hinüber in ein Grillrestaurant zu wechseln. Überreden musste man den eh nie, der war einsam. Mir war egal wo die beiden Fischköpfe waren - ich wollte Fleisch. Fleisch konnten die Kroaten gut. Fleischberge, verbrannt, frittiert, ausgebraten, frittiert, blutig, medium und was weiß ich noch. Ein Grillteller mit Pommes und Salat funkelte ob der Fettmenge, die ihn in der Pfanne begleitet hatte, wie ein Eisberg in der Sonne. Es sah aus, als wenn man einen Wildunfall, an dem mehrere Wölfe, Füchse und Bären auf der Landstraße beteiligt gewesen wären, in die Küche geschleppt und ein bisschen verziert hätte. Alles im Umkreis von 35 Metern stank nach Fett und Öl und selbst die Salatblätter sahen aus, als wenn sie direkt neben der Fritteuse gestanden hätten. Eigentlich waren ja die Griechen bei mir im Generalverdacht alles aber auch wirklich alles zu frittieren, vielleicht hatten sie sich aber auch in einem Urlaub oder frühgeschichtlichem Kriegszug in Istrien inspirieren lassen. Das müsste man recherchieren. Es schmeckte jedenfalls genau richtig. Wir spachtelten uns durch eine Grillplatte und tunkten riesige grobe Kartoffelstücke in eine Fettsauce. Dazu gab es Pivo und Detlef toppte das Ganze mit einer Bestellung von sehr hochprozentigem, klaren und sehr durchsichtigen Alkohol. So was hasste ich wie die Pest - aber wenn Detlef so vor sich hin parlierte war ich hypnotisiert wie Mogli von Kaa, der Schlange.

«Wat? Du hast die Alte noch nicht geknackt?»

Ich glaubte aus Detlefs Stimme Unglaube aber auch ehrliches Interesse herauszuhören. Seine Stimme konnte sehr laut sein und zu seiner offenen Direktheit passten ganz gut diese fiesen kleinen Gläser. Im Alkohol lag ja bekanntlich immer die Wahrheit und Detlef hatte sie eben laut ausgesprochen. «Wat - ihr fahrt Samstag und Du hast die Perle noch nicht geknackt?» Ja, so in Wiederholung bekam das richtig Dramatik nicht zuletzt durch die Erwähnung unseres Abreisetages. Der war mir zwar noch nicht final bestätigt worden - aber ja - das klang so aus Detlefs Mund wie die reine Wahrheit - ach und wie gut, dass da ein Kellner in der Kunst geschult war, leise und quasi unsichtbar neuen Alkohol an unseren Tisch zu bringen ohne unsere geistvolle Unterhaltung zu unterbrechen. Ich überlegte kurz ob ich Detlef anbrüllen und ihm und den circa 40 anderen Gästen klar machen sollte, dass ich nicht gerne über solche Themen auf diese Art und Weise sprach und dass Renata keine Perle sei… und dass ich keine Perlen knackte sondern ein Lover und so weiter war… Aber er hatte ja recht.

«Alder, ja was soll ich denn machen…?», während ich weiter trank und fraß wollte ich mal was einwerfen, um Detlef nicht völlig den Tisch und das Gehör der umsitzenden Gäste alleine zu überlassen. Wären Frank und Marc jetzt zugegen gewesen, ja Mensch, denen hätte ich was erzählt und die wahren Dimensionen meines wertherschen Leidens eloquent beschrieben. Waren sie aber nicht. Und ich war alleine mit einem Riesenberg Fleisch, einem Ruhrpott-Asi und ein paar ängstlichen Salatblättern am Rande eines Fetttellers.

Ich hatte keine Ahnung von nix. Es war zum Kreischen, Kotzen und Saufen...


DIREKTER SPRUNG ZU KAPITEL 19 : SIE KAM NICHT

• Eigentlich ist der Urlaub schon zu Ende.

• So richtig hat das André bloß noch nicht begriffen

• Seine Sinne sind „überspannt“ und er dreht sich zu schlechter Musik auf der Tanzfläche

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Kapitel 19 SIE KAM NICHT

Sie kam nicht. Es war leer ohne sie und es war nichts ohne sie und ich füllte die Leere mit Bier und Gegröle. «Don't you forget about me…» die Simple Minds tanzten in meinem einfachen Kopf und ich wog mich im Rhythmus des Songs. Alle anderen Songs waren mir egal. Kein «sexy thing” kein «Passenger», kein Nichts. Der Laden war unglaublich leer - was vielleicht auch an dem Arbeits- und Wochentag lag - und auch der DJ war nicht der vom Wochenende. Vielleicht war es auch mein lasziver Hüftschwung oder ein Riss im Raum-Zeitkontinuum. Vielleicht passierte das auch alles nur für mich. Der Song ging jedenfalls ewig und ich hatte wohl alle Hemmungen verloren und drehte mich wie eine 20 Dollar Nutte alleine auf der Tanzfläche und versank in den wunderschönen und doch recht schlichten Lyrics. Der Song war der Oberhammer und das Live-Doppelalbum rangierte bei mir zu Hause ganz weit oben in der Heavy Rotation. Die Simple Minds waren soft - sie waren rockig und eigentlich banal - aber ich mochte sie als Mitte zwischen den nervtötenden «Bloody Sunday… u2», die ich erst viel später zu schätzen lernte und dem oberintellektuellen Scheiß von Pink Floyd.

«Don't you…» war jedenfalls eine Hymne und da ließ ich nichts drauf kommen. Vielleicht hätte ich auch den DJ überreden können, die komplette CD durchlaufen zu lassen. Sollte er sich ruhig vom Acker machen und mir den dancefloor alleine überlassen. Tatsache, sie kam nicht! Weder sie noch Sabrina oder eine weitere Dame aus den letzten Abenden erschien und nur Detlef und noch ein paar andere traurige Gestalten hatten sich hinter traurigen Getränken in den Tischnischen verschanzt. Mir war gerade die ganze Welt auf den Kopf gefallen und nach Hause konnte oder wollte ich nicht. Nicht so. Nicht so und überhaupt - was sollte der ganze Scheiß hier. Hatte alles keine Wert und ich den Kontakt zur Erde verloren. Zuhause hatte ich gerade den heartbreak mit Nicola hinter mir gelassen, also war das hier unpassend wie es nun mal nichts sein konnte. Allerdings gab es so gesehen auch noch andere Gründe… und mein Kopf tanzte durch die Gedankenwirbel, die sich alle nebeneinander in der öligen Suppe meines Hirns auftaten. Der Song lief und lief ewig und vielleicht hätte ich auch bald gemerkt, dass der DJ ihn auf Repeat gestellt hatte, als plötzlich Marc und Frank in der Szene aufpoppten. Ich hatte sie aus der Inszenierung komplett rausgestrichen. Sie hatten sich schlecht benommen und schlechtes Benehmen quittierte ich stets mit Missachtung. Da konnte ich sehr bockig sein. Marc glättete wie immer die Wogen. Er musste nur lachen. Er war der große Weichmacher und Harmonist, der es schaffte, mich von der Tanzfläche zu holen an den gemeinsamen Tisch mit Detlef und Frank. Sowas wie eine kumpelhafte Atmosphäre aus dem Hut zu zaubern und das Ganze mit einer Runde Tequila zu untermauern. Das konnte nur er - und sobald Marc da war, war alles gut. Der Laden war heute scheißleer und ich hatte die Promille für ein halbes Dutzend Gäste in mir.

«Wo sind die Ladies?»

Marc brachte die Situation auf den Punkt mit seiner Frage. Die waren nicht da und ich schaute deshalb wohl auch so verknüllt und dämlich aus der Wäsche.

«Keine Ahnung…», ich hielt lieber die Klappe und ließ Detlef quatschen, der ohnehin nichts anderes vor zu haben schien.

«Is Donnerstag - da bleiben die Perlen in ihren Muscheln….», das Niveau war herrlich und ehrlich und Marcs Vorliebe für solch gebrochene Charaktere wurde voll befriedigt. Die beiden verstiegen sich sogleich in eine Diskussion über das richtige Vorgehen beim Knacken von Muscheln oder eben Perlen und ich war so gut erzogen mich da einfach rauszuhalten. Wäre ich in anderer Laune gewesen, hätte ich dem guten Detlef versucht klar zu machen, dass der gute Marc ihn eigentlich die ganze Zeit nur verarschte. Doch zu gerne lauschte ich dem Spiel zwischen den beiden. Marc nahm nichts ernst und gab in bester komödiantischer Perfektion den Proll, der mit dem anderen Proll fraternisierte und ich konnte mich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden. Der heutige Abend, den ich alleine mit Detlef begonnen hatte, hatte mir eine andere Sichtweise auf diesen Typus beschert und er konnte mir eigentlich gerade leid tun. Aber viel lieber tat ich mir selbst leid und wartete immer noch auf das Erscheinen von Renata oder irgendeiner Nachricht über ihren Verbleib.

Wie ein katholischer Priester auf Wallfahrt in Tschenstochau starrte ich auf den Schrein der schwarzen Madonna und wartete auf ihr Erscheinen… Wie ich gerade auf dieses Bild kam..? Keine Ahnung, hatte wohl mit der Familie väterlicherseits etwas zu tun, die allesamt wegen des Mists, den der kleine böse Mann verzapft hatte, dort hatten fliehen müssen. Marc schien mit allem im Frieden zu sein und trieb es heute Nacht nicht auf die Spitze. Sein Spiel mit Detlef konnte und wollte ich ihm nicht übel nehmen. Er ließ Detlef am Leben und ließ auch die Finger vom Spiritus, von dem ich sie vor Stunden besser auch schon weg halten hätte sollen. Und dann machte der Laden dicht. Der DJ spielte keinen Rausschmeisser, sondern machte einfach die Musik aus und war verschwunden. Die Discokugel drehte sich weiter und auf einmal sah, roch und hörte man die volle Traurigkeit der Szene.

Kein Ort der Welt ist wohl erbärmlicher und elender als ein dancefloor ohne laute Beschallung. Nahm man einem dancefloor die Musik, so brach sofort die Hölle unter ihm auf. Man sah sofort den Dreck und all die kleinen Reste des menschlichen Elends, die sich darauf angesammelt hatten. Die Schlieren und Kratzer, die schlecht verschraubten Kanten und und und... Bleche, Bierflecken, Zigarettenstummel, Fetzen von Papier - ein Haargummi. Man sah die abgeschrammelten Fussleisten und die anderen dilettantischen Raffinessen am Rand zur DJ Kanzel, die einen glauben ließen, dass hier nicht erwachsene Handwerker sondern Kinder mit Klackermatsch gebaut und verputzt hatten. Alles billig, alles Fusel, alles Rotz. Doch offenbar gut bezahlt durch allabendliche Füllung der Kasse mit Eintrittsgeldern und immensem alkoholischen Umsatz. Die Bank gewinnt immer. Der Wirt verdient an jedem Suffkopp. Schlimmer noch aber war der Gestank und Lärm.

Nahm man dem dancefloor die Musike und den dance, kamen auch noch Düfte aus der Hölle empor gekrochen, die man zuvor dort nicht wahrgenommen hatte. Man roch von einer Sekunde auf die andere all die Sachen, die man zuvor nie für möglich gehalten hatte. Die eigenen Achsel schienen auf einmal direkt auf Höhe der Nase zu liegen, aus den Schuhen drängte sich eine weitere Note dazu und vermischte sich mit denen der anderen Anwesenden. Ungewaschen bekam hier eine klare Form. Auf einmal konnte ich Marc, Detlef und wohl auch Frank nicht nur sehen und hören, sondern auch riechen. Was für ein Scheiß - das alles nur, weil die Musik aus war - oder wie der gute Jim sang…

«when the music's over… turn out the light…»

Während meine Nase noch mit dem Hirn über die Deutungshoheit und die Details stritt, erschlug aber schon eine weitere Welle Gerüche die nahen Geruchsquellen. Hätte man es vorher nicht herausgefunden, so roch man urplötzlich, wenn jemand irgendwo in den Laden gekotzt hatte. In diesem Fall gab es dann ganz klar eine Fahne aus Richtung des Klos, die sich im Keller befanden. Das ganze war untermalt durch den Duft der gigantischen jugoslawischen WC-Steine, die ich schon etliche Mal bepinkelt hatte. Die waren so groß, die kamen sicher per Laster aus einem WC-Steinbruch.

«No music - big smell» - ich fing an den nächsten Superhit für Peter Gabriel zu texten, der seit seinem Ausstieg bei Genesis eigentlich gar nicht so üble Musik machte. Leider mehr etwas für den Kopf, als für die Hüften, sah man mal ab von Sledegehammer… Die Geruchshölle marterte mich, während meine Kumpels zugleich ungerührt weiter quasselten. Merkten die gar nichts mehr? Gerade entdeckte meine Nase auch den muffigen Abwassergeruch, der aus Richtung des Tresens zu uns herüber waberte. Eine der Bardamen war hektisch damit beschäftigt, Gläser in diese Brühe zu tunken und danach zum Trocknen aufzureihen. Spülten die denn gar nicht nach?! Ich spülte immer nach. Ohne Abzutrocknen war mal in der Werbung, aber der sollte kein vernünftiges Wesen glauben schenken. Keine Magie konnte dafür sorgen, dass sich Spüli einfach so in Luft auflöste ohne Rückstände auf dem frischgespültem Glas zu hinterlassen. Sodom und Gomorrha hatten mich verschluckt und ich saß inmitten der Eingeweide. Da half es nur wenig, dass eine andere Kellnerin durch das Gestanksgemälde stakste und sich ereiferte, den Berg an leeren Flaschen und Gläsern auf unserem Tisch abzutransportieren. Ich sah recht schöne Brüste, aber noch vielmehr roch ich auf einmal ihre recht seltsame Mischung aus erschöpften Schweiß, billigem Parfüm und noch einer weiteren Note, die ich krampfhaft versuchte zu orten. Was war das verflucht noch mal!

«When the music over… turn off the lights…», so oder so ähnlich sang es gute Jim von den Doors, und ich begriff auf einmal was ich da eben bei der kleinen Dame noch so alles gerochen hatte außer Achseln und Horsd’oeuvre. Hatte auch gute Seiten die Stille, schoss es mir durch den Kopf während ich auf ihren Arsch schaute, der unseren Tisch in Richtung Tresen verließ. Meinen Sinnen war wie es schien ein neuer dazu gekommen und ich grinste ein wenig dümmlich vor mich hin. Nach den Düften kam jetzt plötzlich der Krach in meinem Kopf an. Da waren mindesten fünf Kühlschränke unter der Bar, die mich anknurrten. Da war das Rauschen der Wasserhähne, da drehten sich Ventilatoren an der Decke, und Lüfter an der Wand über uns versuchten den ganzen Sud und Lärm aus dem Laden zu saugen. Eine Kakophonie der Töne und des Gestanks - eine Symphonie der Verwesung - nach den rechten Worten musste man hier noch suchen. Meine gerade erwachte neue Fähigkeit, Frauen zu riechen, musste ich prompt erproben. Meine Kumpels erhoben sich und so war es auch an mir torkelnd in Richtung des Ausgangs zu streben. Mühsam rang ich mir im Vorbeigehen ein Lächeln für die Dame am Tresen ab, die gerade meine Nase so mit sekretbestäubten Düften gefüllt hatte. Gerne hätte ich das vertieft und als ich ein kleines Lächeln zurückbekam, zwitscherte kurz draußen ein Vogel - was sich allerdings nicht mit dem plötzlichen Ergrellen des gesamten Szenarios matchen ließ. Die Glut der Sonne stach in meine Augen. Klar, wir waren die letzten Gäste an diesem Abend und das hatte jemand hinter dem Tresen zum Anlass genommen, den Schalter für die Neonröhren zu betätigen, deren gräuseliges Licht sofort jede Schatten töteten. Alles für die arme Sau von guter Putzfrau, die gleich auf das Elend schauen konnte und damit alleine gelassen wurde. Schlecht für mich und meinen Schädel, der zu platzen drohte. Raus, bloß raus hier! Vielleicht ein Sprung in das Hafenbecken - gemeinsam. Das half, wie ich seit gestern wusste. Vielleicht sollte man uns alle, den ganzen Club und den ganzen Ort in die Adria spülen. Vielleicht wäre das eine Lösung.


Ein großer Sprung zu KAPITEL 26 : ARBEITSLAGER >

• Nach einer Woche sind die Drei mit dem Ascona wieder in Richtung Heimat aufgebrochen

• André ist total deprimiert und mit Frank wird er nie wieder ein Wort wechseln.

• Die Sehnsucht nach Renata zerfrisst ihn und als Marc, der zweite Romantiker im Trio, ihn bestärkt, steigt er an der Österreichischen Grenze aus und wird zum Tramper. Urplötzlich. Ohne Ausrüstung oder eine Karte.

• Anfangs klappt das ganz gut bis er nach zwei Stationen erst einmal strandet...

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Kapitel 26 ARBEITSLAGER

Ich war gestrandet und das merkte ich auch bald schon seit einer Stunde, die ich geduldig an der recht leeren Straße stand und meinen Daumen raushielt. Hier war nicht viel los, hier fuhr man wohl nicht so gerne von Italien in Richtung Jugoslawien. In der anderen Richtung war deutlich mehr los. Der Abend kam immer deutlicher über das Meer angekrochen und wenn ich geahnt hätte, wo sich Capri befindet, hätte ich in dieser Richtung den Sonnenuntergang ein wenig genießen können… aber so war es einfach nur Scheiße.

Capri - oder war das in Spanien? Ich stank ein wenig, stand am Rande einer Großstadt in einer Art Industriegebiet und sah hoffnungsvoll in die Richtung aus der meine nächste Mitfahrgelegenheit erscheinen würde. Gerne hätte ich eines der Biere gezischt, die mir Umberto, der alte Hühnerficker, in die Hand gedrückt hatte. Bevor sie zu warm oder zu einem zu großen Ballast würden, entschied mich aber dagegen, um meine Chancen auf Mitfahrt nicht durch eine Alkoholfahne zu reduzieren. So gut erzogen war ich dann doch. Wenn man schon zu fremden Menschen ins Auto stieg und es auch noch solche Klapperkisten waren, dann nicht stinkend besoffen und lallend. Dachte ich so. Ein schön sauberer, adretter und gebildeter Tramper hatte sicher mehr Chancen. Bloß nicht an Rutger Hauer in Hitcher der Highwaykiller denken. Bloß keine Pommes essen und besser nicht anhalten! Meine Kindheit und Jugend hatte ich im Kino verbracht, meistens mit Marc und Volker an meiner Seite. Die Fliege und Hitcher waren die absoluten Highlights des Horrors bis dato - wobei mir jetzt auch selbst nicht ganz klar war, weshalb ich an die Fliege denken musste. Stank ich etwa schon so sehr? Möglich war alles, aber ich konnte hier gerade nicht duschen oder stundenlang meine Frisur vor dem Spiegel richten - ich war auf einer Mission. Ich war ein Lover, nicht ein Fighter und ich musste dringend weiter. Der Sonnenuntergang ließ zwar noch auf sich warten und alles lief gerade irgendwie in Superzeitlupe ab, trotzdem bekam ich leider ein wenig Panik.

Schon zweimal war ein Polizeiwagen an mir vorbeigefahren eventuell war Trampen im Ostblock ja doch verboten und ich saß morgen in einem Sonderzug Richtung Sibirien. Arbeitslager - was für ein Euphemismus, dachte der kleine griechische Lateiner in mir. Klang eigentlich gar nicht schlimm und vielleicht half es orientierungslosen Schulabgängern sogar bei der beruflichen Selbstfindung. Vielleicht ging man im Ostblock nach der Schule ja sogar freiwillig in ein Arbeitslager? Statt Bundeswehr oder Zivildienst ein freiwilliges Jahrzehnt im Arbeitslager.

Ich wurde albern - immer wenn es mir schlecht geht - auch noch heute werde ich albern. Kann ich nichts dran ändern. Vielleicht war Ostblock aber auch gar nicht so schlimm und die Polizisten hier so dämlich wie die Schranzen in Top secret mit Val Kilmer.

Meine Naivität tanzte albern mitten auf der Straße und war nackt.

Ich war schlichtweg nur dumm und hatte überhaupt keine Ahnung von gar nichts. Wusste nicht mal, ob das hier offiziell Ostblock war und wenn - wieso wir hier dann im Urlaub waren und scheinbar alle anderen abends rüber nach Italien fuhren. War das gar etwa auch Ostblock? Ich kramte in den Akten meines Geschichtsunterrichts herum und fand tonnenweise schlecht sortiertes Halbwissen. Abitur in Geschichte war auch nichts mehr wert, auch wenn ich eigentlich alles bis zum Attentat von Sarajevo rückwärts in den Staub des Straßenrands hier vor mir hätte pissen können sollen…

Pubertäre Stresssituation.

Sarajevo?

Hatte ich das nicht heute schon mal auf einem Schild an der Straße gesehen? Langsam bekam ich Angst und sehnte mich nach Marc und dem Ascona - und von mir aus auch nach Frank - den letzten drei Zeugen meiner irdischen Existenz, bevor ich im sibirischen Arbeitslager verschwinden sollte.


Ein kleiner Sprung zu KAPITEL 28 : PAMPA

• André fand, dass sein jetziger Fahrer Fransesco über einen exquisiten Musikgeschmack verfügt

• Dass Fransesco auch eine Pistole besitzt, führte kurz nach dem Einsteigen in seinen Fiat schon zu einer kleinen Anspannung, die sich aber glätten ließ.

• Doch die Fahrt geht noch sportlicher weiter...

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Kapitel 28 PAMPA

Weitere zwanzig Kilometer weiter war ich immer noch am Leben und schüttete zur Feier dessen Bier aus einer dritten Dose in mich hinein. Davon hatte Francesco sechs im Handschuhfach des Fiats, die er mir geradezu aufdrängte.

Nachdem er mich nicht erschossen, wir uns nicht überschlagen und ich ihm keine Maxwell XLIIS 90er ins Auge gerammt hatte, waren wir beide wohl ein wenig erleichtert und gelöst. Dazu kam der gute alte Sting mit seiner herrlich rußigen Stimme und das geniale Schlagwerk-Spiel von Stewart Copeland und es war toll wie Fransesco bei alledem mitgrölte. Wäre ich Musikproduzent gewesen, wir beide wären reich geworden, denn er vereinte die Lässigkeit der italienischen Sehnsucht mit der Romantik des Balkans in seiner Stimme, auch wenn er nicht wirklich alle Töne traf, geschweige denn die Texte kannte.

Ich, der ich mich mit der Möglichkeit des urplötzlichen Todes arrangiert hatte, genoss die laute Musik und den Fahrtwind und hatte mich gemütlich in den Sitz zurücksinken lassen. Draußen wurde es bereits Nacht und das kurvige Scheinwerferlicht des Fiats schnitt durch die Landschaft. Francesco trieb das kleine runde Gefährt weiterhin bis zur Leistungsgrenze und hatte keine Probleme damit, in der Hand, in der er zuvor noch eine Pistole hatte, eine Bierdose zu halten und mit kräftigen Schlucken zu trinken. Wasser hatten wir auch keins im Auto. Unsere anfängliche kurze Dissonanz war verflogen und er ging auf in den Songs von Sting, die er alle voller Inbrunst mitsang. Vielleicht saß ich auch bei dem jungen Pavarotti im Auto und gleich würde noch Bryan Adams vors Auto laufen, dachte ich Jahre später einmal. Musik einte und ließ die Grenzen verschwinden. Musik & Maxwell XLIIS 90er - eine tolle Kombination. Die Karte in meinem Kopf bekam Unterstützung von einer echten, die mir Francesco aus dem vollgemüllten Handschuhfach hervorzog. Wir waren auf der richtigen Route, was ich auch an der immer noch hinter dem Horizont glimmenden Sonne und den vereinzelten Flecken von Meer zu meiner Rechten überprüfen konnte. Der Schlenker, den ich zuvor mit Umberto gemacht hatte, holte Francesco mit seiner rasanten Geschwindigkeit wieder auf und in mir wuchs die Zuversicht, nicht in einem von schwarzen, großen Käfern übersäten Feld übernachten zu müssen. Denn ein Zelt, geschweige denn einen Schlafsack, hatte ich nicht und auch überhaupt keinen Grund zu schlafen.

Ich fühlte mich unbesiegbar und da brauchte man bekanntlicherweise keinen Schlaf. Seit dem Aussteigen an der Grenze hatte ich gefühlte 300 Kilometer hinter mich gebracht und die Kartenlegende in meinem Kopf notierte das als «über die Hälfte». Police bootleg ging zu Ende und Francesco deutete mir, eine neue Kassette einzulegen. Kurz überlegte ich, ob The Cure passend wäre, entschied mich dann aber für «Supertramp live in paris», was wieder ein wenig softer als The Police und näher an BJH war. Gute Wahl. Francesco fing an zu glühen, schon nach der ersten Hälfte des Openers «School». Das war großes Kino, das war wirklich episch, was die Herren da zauberten, und zog einen trotz des Fehlens jeglicher Bässe ganz schön rein und hinaus zu den Sternen. Mein Fahrer schien die Kurven noch ein wenig beschwingter zu nehmen und hatte sich wohl gerade auch so etwas wie eine sehr unordentliche Zigarette in den Mundwinkel gesteckt und reichte mir diese nach zwei tiefen Zügen herüber - vermutlich, weil sie ihm nicht so gut schmeckte.

Ich hatte von dieser Art Zigaretten schon ein paar Mal gehört und gesehen und auch ein paar meiner Freunde hatten mir ihre vor die Nase gehalten - doch ich bekam nie etwas so tief hinab in die Lungenkapillare, die den Sauerstoff aus der Luft in unser Blut übertrugen - wie jetzt! BIO-Leistungkurs ließ grüßen. Man wollte sich neben einem circa Vierzigjährigen, leicht übergewichtigen, mit gegelten Haaren Fiat rasenden Waffenbesitzer nicht lumpen lassen oder noch mehr Blößen geben - und so wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben von einer Sekunde zur anderen so hammermäßig stoned, dass es zum Jauchzen war. Das tat ich dann auch sogleich und jauchzte zusammen mit Rodger Hodgson und seiner nöligen Stimme hinaus in den warmen Fahrtwind an meines Fensters Seite...

«...after School is over you're playing in the park….Don't be out too late, don't let it get too dark….»

Ich sah alles und hörte alles. Jede noch so kleine Blüte in den Sträuchern und Hecken, an denen wir vorbei brausten, hörte jeden Käfer im Feld dahinter rülpsen und schnaufen. Von tausenden anderen Sachen mal abgesehen, die sonst im Rauschen des täglichen Lebens verborgen waren. Tief sog ich den klebrigen Rauch in mich hinein und grinste dämlich zu Francesco hinüber, der mit der Hand deutete, dass er genug hatte und ich die Wundertüte alleine vernichten sollte. Supertramp schwiffen weiter und die Synthesizer-Burgen bereiteten sich auf das «crime of the century» vor, während ich eins wurde mit dem Auto, der Landschaft und allem, was sich über uns und neben uns befand. Wie ein Messer schnitt ich durch die Atome der Flora und Fauna und konnte Dinge sehen, bevor sie geschahen. Zwei Rehe, die kurz vor dem Scheinwerferkegel des Autos die Straße querten und die Francesco mit einem Hauch Hupe und weniger Gas begrüßte, einen Fuchs, der seitlich ins Gebüsch schnürte… Ich sah alles und hätte locker auch die kleinen fiesen Begrenzungssteine am Straßenrand mitzählen können. Supertramp flog mit uns ins All und ich musste mich an das erste Sting Konzert, nach der Auflösung von Police, in der Hamburger Sporthalle erinnern. Dort kamen mir damals die Tränen, als Omar Harkim zu einem circa siebenminütigen Drumsolo ansetzte und mindestens 8 bis 12 Arme bekam und Kenny Kirkland alle Tasten seines E-Pianos komplett neu anordnete, um den jungen Brandford Marsalis mit seiner Klarinette die Bühne zu ebnen, mit der er wiederum Stings wunderschöner Stimme einen Rahmen gab - eine Krone…

«i burn for you».

Ich weinte damals ob der Schönheit der Musik und weinte wohl auch, weil ich Idiot keinen der halben Dutzend Joints annahm, die mir von älteren Konzertbesuchern in meiner Nähe angetragen wurde. Hatte ich damals etwas verpasst? Die Kassette musste da unten auch noch irgendwo…

Ich stockte, denn Francesco verlangsamte seine Fahrt. Noch hatte ich mich nicht ruckartig bewegt und meine Hand in den Seesack gesteckt, war mir also sicher, ihn nicht irritiert zu haben. «Machen wir eine kleine Pause…», Francesco, mein italienischer Jetpilot verlangsamte die Fahrt und bog in eine x-beliebige kleine Nebenstraße ab, um nach circa 400 Metern in Sichtweite eines unscheinbares Hauses zu stoppen. Wer Bier trank, musste auch mal pullern, merkte ich und stellte mich neben ihm draußen an eine Hecke und ließ dem Druck freien Lauf.

«Du wartest im Auto… Ich mache kurzes Geschäft…», mit seinem recht guten Deutsch erstaunte er mich jetzt und ich entnahm seinen Worten, dass er wohl mal kurz den Großen Braunen Bären verjagen wollte, was ich später auch gerne mal tun würde, wenn ich wieder in der Nähe von extra dafür geformtem Porzellan war. Ins Feld scheißen, nein so was ging bei mir gar nicht! Dazu brauchte es eine gemütliche Brille, schön warme Fliesen an den nackten Füßen und Unmengen Klopapier. I am a Knüller, not a Falter, baby! Ich tat also wie geheißen und ließ mich wieder auf den Sitz fallen, während ich Francesco hinter der sich öffnenden Kofferraumklappe verschwinden sah, wo er offenbar sein Toilettenpapier für solche Fälle aufbewahrte - denn auf der Hutablage war davon weit und breit nichts zu sehen - vernünftig. Ich grunzte zufrieden und genoss die Ruhe der Nachtluft, als sein Gesicht rechts neben mir erschien und er statt Klopapier einen mittelgroßen Karton unter dem Arm trug, der randvoll mit Uhren und anderem Glitzerzeugs war.

«Du wartest. Ich mache Geschäft.», reichlich angespannt war ich auf einmal, als Francesco mir kumpelhaft auf die Schulter klopfte, nachdem er vor mir auf die Ablage des Armaturenbretts eine ziemlich schwarze und große Pistole gelegt hatte. Unfähig zu einer Bewegung oder Äußerung in einer der mir geläufigen Sprachen, sah ich wie er den Glitzerkarton unter den linken Arm nahm und sich eilig vom Auto hinfort bewegte. Dabei zupfte er sich noch an seinem Hemd herum, unter dem sich deutlich die Konturen einer ähnlichen Waffe vor seiner käsigen Pofalte abzeichneten.

Ich ölte - ich schwitze nicht, nein, ich ölte und glaubte schon, Tropfen auf dem Bodenblech unter dem Sitz aufschlagen zu hören. Vielleicht platzten auch irgendwelche Zellen in meinem Stresszentrum... Francesco verschwand aus dem schwachen Lichtkegel des Standlichtes und hatte genug Humor, die Melodie vom Paten zu flöten. Das ölige Schwarz des Pistolenlaufs grinste mich an und spiegelte das fahle Mondlicht. Leise zirpte Supertramp aus den Boxen und mischte sich mit dem Plätschern meines Adrenalins oder was auch immer… Sicher würde es sich durch die Bodenbleche des Fiats ätzen...


Ein kleiner Sprung zu KAPITEL 29 : RIPLEY

• Ripley aus Alien, als Assoziation und Synonym für Panik & Action und Handeln :-)

• Drugs & Knarren und Alkohol und allerlei Chemie gehen in Andrés Kopf durcheinander

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Kapitel 29 RIPLEY

Ripley würde es schon richten, dachte ich als ich immer weiter in den schweißgetränkten Sitzbezug einsank. Meine Optionen rechnete ich jetzt zum tausendsten Mal durch, doch sie waren begrenzt und immer wieder kam Weglaufen ganz oben auf die Liste.

Weglaufen - Sprintmodus… 1. Platz…

Lauf Andi, lauf!

Der Film dazu war noch nicht gedreht und ich hätte vielleicht auch statt an Tom Hanks die Hauptrolle an Edward Norton vergeben...

Aus dem Fiat seitlich rausrollen, den Rucksack von der Rückbank zerren und los sprinten. Zurück zur größeren Straße da irgendwo hinter mir, wo sich aber in den letzten Minuten meines Daseins kein Verkehr verirrt hatte. Oder aber querbeet durch die Hecke brechen und gerade Linie erstmal über das dunkle Feld dahinter? Muskeln für einen Sprint waren wohl vorhanden und als mein Kopf schon fast auf Höhe der Knie angelangt war, erinnerte ich mich auch an ein paar Judo-Griffe … aber … das alles kollidierte mit den Inhalten von mindestens vier halben Liter Dosen Bier, einer schläfrigen Müdigkeit und circa drei Gramm THC, die gebunden an bösen Tabak, den Weg durch meinen Metabolismus nahmen und lustig johlend Achterbahn fuhren. Mit Loopings in meinem Kopf und das immer wieder. Sechs Minuten brauchte das Blut, um einmal rund durch den Körper zu rauschen, notierte irgendwas im Hinterkopf, aber das waren wertlose Infos...

Wie ein Altar ragte die Knarre matt glänzend vor mir auf und ich konnte die Augen davon nicht abwenden. Fast schon lag ich im Fußraum des Autos, als ich von weitem eine Tür schlagen und einen fluchenden Francesco näher kommen hörte. Im Hintergrund fing ein großer, sicher dreckiger und zotteliger Hund an zu bellen und weitere stimmten sofort in ein heiseres Konzert ein. Herzinfarkt kam zu den berechneten Optionen dazu - sich tot stellen oder schnell sublimieren und im gasförmigen Zustand aus dem Fenster entweichen lagen knapp dahinter auf Platz 3 und 4. Francesco erschien als Silhouette im Panorama der Scheiben, und ich wusste nicht was ich tun sollte. Erstaunt registrierte ich, dass die Hunde ihn offenbar nicht einholten und sein Fluchen auch eher in einen SingSang überging und er und sein Hemd auch nicht blutüberspritzt waren, wie es ein Hollywoodstreifen an dieser Stelle sicher vorgesehen hätte.

Die Tür ging auf und er ließ sich mit einem zufriedenen Grinsen in den Sitz fallen. Das kleine Auto schwankte und ich musste sofort an die Knarre an seinem Hintern denken. Doch es gab keinen Knall und keine Kugel bohrte sich - Francescos Poritze zerfetzend - in die Benzinleitung des Wagens und ließ uns in Flammen und Gesplitter aufgehen. Nein, das war ein Profi und er steckte die Waffe zusammen mit einem dicken, gerollten Bündel Geldscheine in das von Bier befreite Handschuhfach. Da ich mich immer noch nicht bewegt hatte, fand er es wohl lustig mir auf mein schweißnasses Knie zu klopfen, um danach die andere Knarre vom Armaturenbrett zu nehmen und sich - KLICK - damit eine neue Zigarette anzustecken…

Ich gackerte, ich rülpste und furzte - alles gleichzeitig. Pippi hatte ich wohl vergessen. Hatte ich aber eventuell schon alles davor zusammen mit Adrenalin verdunstet. Francesco grinste mich fett an und zog an seiner ganz normalen Zigarette.

«Gut Geschäft», grunzte er und deutete in Richtung des einsamen Hauses, aus dem sich bis jetzt auch noch keine tollwütigen Kettenhunde oder schießwütigen Schurken auf den Weg zu uns gemacht hatten. Er fuchtelte mit seiner bescheuerten Feuerzeug-Kanone vor mir herum und ließ sich nicht anmerken, wie lustig ich das Ganze finden sollte.

«Und jetzt fahr ich Dich zum Bahnhof in Rijeka, mein Freund!»

Ich hatte also einen Karrieresprung in der Mafia hinter mir und schaffte es, mich einigermaßen wieder aufzurichten. Die Nummer mit der Knarre bzw. mit den beiden Knarren war der Oberhammer und ich konnte nur staunen über meine Bewunderung für meinen Gastgeber, der mich gerade eben zum Komplizen gemacht hatte. Aber wofür eigentlich? Ich hatte nicht wirklich ein Verbrechen beobachtet und könnte nichts Belastendes zu Protokoll geben. Auch das ängstliche Starren auf eine Plastikpistole würde ich besser für mich behalten, kam mir gerade so in den Sinn, als Fransesco den Rückwärtsgang einlegte und unser Abenteuer weiter ging. Vielleicht war er auch einfach nur der Postbote oder ein Geldtransporter mit einem schrägen Humor, einem Herz für Tramper und einem sehr soften Musikgeschmack, der sich eigentlich nichts zu Schulden kommen hatte lassen. Ja vielleicht, dachte eine Spezialeinheit grauer Zellen in meinem Kopf gerade, ja vielleicht war die Knarre, die er vor meinen Knien im Handschuhfach verstaut hatte, ja auch nur sein Ersatzfeuerzeug?! Ha! Wurschti! Jetzt war ich Komplize und die Fahrt ging weiter durch die istrische Nacht, die sich vollends über das Land gesenkt hatte. Marc, Frank und der Ascona waren unendlich weit weg und ich dachte nur noch an das Hier und Jetzt und wie ich meinem Ziel wieder näher kommen könnte.

Das Ziel? Richtig, da war ja was. Das Ziel war eine Hafenstadt, die wir heute morgen in aller Frühe verlassen hatten und deren Namen ich noch mehrmals meinem Fahrer übermittelt hatte, in der festen Hoffnung, dass er mich auf den rechten Weg brächte. Dabei war ich unglaublich müde und verkatert wie selten zuvor in meinem Leben. Die Luft wehte durch das Fenster über mein Gesicht, aber ich konnte sie nicht mehr spüren.


Ein Sprung in den EPILOG

• Ob Fransesco ein Gangster war hat André nie erfahren. Dieser hat ihn jedenfalls in Rijeka in den Bus nach Senj gesetzt und sogar das Ticket bezahlt.

• Nach endloser Fahrt erreicht André mitten in der Nacht sein Ziel: Senj

• Todmüde und zerfleddert fällt er aus dem Bus und rennt fast in die Angebetete, die in den Armen ihres Verlobten an der Bushaltestelle steht. Dieser saß wohl ebenfalls im Bus aus Rijeka.

• André gleitet ungesehen an beiden vorbei, nimmt sich ein Hotelzimmer und geht am nächsten Tag zu Detlef - seiner Rückfahrtkarte, die er im Hinterkopf hatte.

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EPILOG

Zwei Tage später saß ich bei Detlef in seinem Ford Fiesta. Sportlenkrad, Fellbezüge, Bommel am Spiegel aber geiler Sound aus einem PIONEER XD-723LS mit angeschlossenem CD-Wechsler im Kofferraum. Ich hätte telefonieren können, damals gab es so was ja schon, aber ich wollte nicht. Fuhr mit ihm durch Österreich und dachte an nichts. Denn da war nichts. Detlef hatte nach 400 Kilometern das Schwafeln aufgegeben, ich gab wohl nicht genug zurück und auch er war nicht so gut drauf und ließ mich Gott sei Dank irgendwann in Ruhe.

Mein Kopf glühte und ich ließ ihn glühen. Eine Nacht in einem kleinen Hotel in einer Seitengasse hatte ich in der Dusche und mit traumreichen Schlaf verbracht. Dann war ich in gerade Linie zum Apartment unserer ruhrpottschen Heimsuchung gegangen, hatte ihn nüchtern an der Tür überrascht und ihm meine Geschichte erzählt. Getrunken haben wir wenig, das Bier schmeckte nicht mehr. Destination Rheinland. Ich hatte gekämpft doch eigentlich keine Gegner gehabt. Ich hatte nicht verloren, sondern ich war wiedergeboren, auch wenn ich das erst Jahre später begreifen sollte. Meine Tante und mein Onkel, die katholischer als irgendwer sonst in Deutschland waren, empfingen mich mit der derben und schlichten Herzlichkeit, die sich in der Tomatensuppe und Palatschinken ausdrückte. Dazu ein Glas Weißwein. Der Ascona war wohlbehalten 500 Kilometer weiter im Norden bei meinen Eltern angekommen. Mein Freund Marc hatte alles im Besten getan und das Auto und meine Nachricht aus dem Reisepass* übergeben.

ENDE

Nie in meinem ganzen Leben habe ich diese eine Woche im Sommer ‘87 vergessen. Nicht wegen Renata, deren Namen und Gesicht schnell verblasste. Nein, es war diese unwiederbringliche Erfahrung, die ich auf ewig mit meinem Freund Marc verbinde.

«Mach es. Du schaffst das. Steig aus und fahr zurück…»

Ohne ihn wäre ich nie ausgestiegen, ohne ihn hätte ich nie stark genug gefühlt, ohne ihn hätte ich nicht gefunden, weil ich nie gesucht hätte. Ein paar Jahre später brach in Jugoslawien die Hölle auf Erden los. Die Menschen zerfleischten sich und Nachbarn waren nicht mehr Nachbarn sondern Monster, die sich gegenseitig die Schädel spalteten und in dem Blut auf der Straße tanzten. Die Hölle tobte mitten in Europa und niemand wusste Rat.

«Von deutschem Boden, darf niemals wieder Krieg ausgehen!»

... eine leidvolle, endlos quälende Diskussion durchzog jeden Abend das Fernsehen und die Presse.

«Auch nicht um einen kriegerischen Konflikt zu beenden…?»

Bomben fielen irgendwann aus amerikanischen F-16, trafen die Richtigen und die Falschen.

Marc starb und ich konnte mich nie verabschieden.

Ich war alleine und mein Leben bekam einen Riss.

Ich widme Marc dieses Buch und meinen coolen Eltern, die uns den Ascona liehen.


Ich hoffe man möchte jetzt auch die restlichen Kapitel lesen. Denn dafür sind sie da!

ViTA DES AUTORS

Kurzvita des Autors: André J. Lichte, 50 Jahre, Vater zweier toller Hamburger Kinder. Digitaler Art-Direktor und in den neuen Medien in Berlin, Köln und Hamburg aufgewachsen, nachdem er der Kleinstadt Lüneburg den Rücken zugekehrt hatte.

Spielt Volleyball und joggt und gewinnt jedes 80er-Jahre-Quiz. Ex-Blogger, Ex-Podcaster, Ex-Nerd, und ist durch fast nichts mehr aus der Ruhe zu bringen. Das S in seiner Musiksammlung reicht weiter über Steely Dan und Soundgarden hinaus. Trifft er auf Dialekte so assimiliert er diese und kann nicht aufhören bis er sich wieder im Norddeutschen erdet. Von Asimov, John Irving, TC Boyle und Chuck Palahniuk hat er fast alles gelesen. Dan Simmons „Hyperion“ hält er für göttlich.

Streitet sich seit Jahren mit Textern um flaue Texte und siegt oft im Kampf um die bessere Headline. Und hat kein Problem damit, wenn ein Verlag das Cover und die Typografie* des Buches für ihn gestaltet;-)


WARUM DiESES BUCH?

Die Geschichte für ´87 liegt seit über 30 Jahren im Kopf des Autors - irgendwann musste sie aufs Papier.

Warum dieses Buch? Ein paar Antworten...

  • « Das Buch ist spannend und fesselt, während es einen wie ein guter Freund auf der Reise zu den Wurzeln der Naivität begleitet. »

  • « Dabei gehören Umwege und das Scheitern dazu. »

  • « Es gibt Antworten auf Fragen, die wir uns erst Jahre später stellten. »

  • « Es will amüsieren und entführt in eine unbeschwertere, schöne Zeit. »

KONTAKT

Adresse

André J. Lichte - Sohrhof 38 - 22607 Hamburg