Mehrere Menschen verschwinden spurlos aus einem großen Hamburger Krankenhaus. Auch ein Kriminalbeamter, der eigentlich auf Rente spekuliert und dort seinen burnout behandelt. Daraus wird nichts, weil halb Hamburg in Schutt und Asche versinkt und er später noch ein gewagtes Experiment begleiten muss. Die Geschichte startet in den Wirren einer offenen psychiatrischen Einrichtung mit ihren bunt zusammengewürfelten Patienten. Dort wo sich verschiedene Charaktere im täglichen Kampf gegen Langeweile und Tränen, die Zeit vertreiben und versuchen der Realität zu entfliehen. Als einer von ihnen spurlos verschwindet und ein weiterer fast Opfer einer Kellertreppe wird, bekommt die Station Besuch von der Hamburger Polizei. Eine Suchaktion nach dem Patienten bleibt erfolglos, dafür verschwinden immer mehr Polizisten. Später werden die beschaulichen Hamburger Elbvororte sogar zum militärischen Sperrgebiet…

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Station51

Roman

Was ist normal? Eine Frage, die sich ein jeder Mensch schon stellte. Auf eine Antwort wartet mancher sein Leben lang. Vielleicht muss man die Frage am richtigen Ort stellen? Und bekommt die Antwort an einem ganz anderen

Dieses Buch ist ein Berg-und ich wollte ihn besteigen. Zitat geklaut von einem Bergsteiger;-) 2013-2015 ajlichte




01 Kapitel „Russland, eine ehemalige Grossmacht”

„Guten - ärr Abend - ich heiße Dimitri Domandszri Oblawgev und bin ihres Nachtwache heute fürs Nacht. Sie können mit allen ihres Problemens zu mir nach vorne kommennn. Gutes Nacht.“

Die Tür hatte sich gerade geschlossen, doch das Gegacker war schon im vollen Gange.

Krömer lief rot im Gesicht an und sagte gar nichts - während Schumann sich in die Kissen rollte und Tränen gackerte. Ein dürrer und nicht all zu hoher, kleiner Mann war eben aus der Tür verschwunden, doch das Schauspiel, das er geboten hatte, klang nach.

Krömer japste nach Luft und kringelte sich in die Laken seines Bettes, dabei streckte er seinen Kinderarsch in die Luft und wirkte wie etwas zwischen Robbe und gestürztem Pferd.

Schumann erstarrte in einer Vorstufe des Wahnsinns. Er hatte in den letzten drei Monaten einige Variationen von Absonderlichkeiten hier erlebt.

Radebrechende Russen konnten ihn eigentlich nicht erschüttern - aber dieser eben verschob die Messlatte gewaltig.

Nein, lieber würde er seinen Versicherungsschutz riskieren, den Autoschlüssel aus dem Schrank holen, um anschließend mitten in der Nacht über die Autobahn zu rasen und in seiner Heimatstadt einen katholischen Pfarrer aus dem Bett klingeln. Diesen würde er dann in den Beichtstuhl der St. Marienkirche schleppen.

Alles besser als diesem radebrechenden zwanzigjährigen Russen inmitten der Nacht seine Sünden und “Problemens” auszubreiten.

„Was war das denn?!“, unterbrach Krömer seinen heimatlichen Gedankenausflug und sein atemloses Gegacker.

„Was war das denn bitte schön eben?! Wollen die uns verarschen?“, Krömers Stimme überschlug sich zu einem schwulen Stakkato und es würde noch einiges folgen.

„Ich geh jetzt ins Foyer von dieser Scheisskiste und klingel den Chef raus…“, heiße Luft konnte Krömer gut, wild nestelte er an seiner Jogginghose und versuchte gleichzeitig in seine Hausschuhe zu schlüpfen.

Schumann konnte in einer Pause ein wenig Luft holen und atmen.

War alles schon nur noch halb so schlimm.

Hatte schon schlimmere Sachen erlebt.

„Ach, lass mal - ist doch lustig...“, warf er ein doch da war Krömer schon durchgedreht und hatte laut zeternd das Doppelzimmer, das eigentlich ein Dreibettzimmer war, verlassen.

Schumann konnte also in Ruhe weiter in seiner Phantasie turnen und merkte sogleich, wie der aus dem Schlaf gerissene Pfarrer ihn geil anschaute und sich ohne Widerstand die Hände auf den Rücken fesseln ließ.

Schumann stöhnte und konnte es nicht glauben, aber wollte es zu Ende bringen und stieß den Pfaffen weiter den Gang entlang durch eine dämmerige Bude, die offenbar seine Dienstwohnung war.

Einen langen Gang entlang und immer tiefer ins leicht muffige Dunkel der Sakristei - oder wie das hieß.

Durch die Tür und dann rechts, hinein in den neogotischen Bau, der Schumann in seiner Kindheit so verhasst war, hinein in eine kühle offene Aula mit einem dieser neumodischen Altare und schlichten Holzbänken.

„Darf ich fragen - welches meiner Schäflein begehrt so spät des Nachts Gottes Zuspruch!?“

Schumann ekelte sich - das war zuviel - und außerdem nicht echt.

So nahm er den Iinksseitig auf einem Podest stehenden Kerzenleuchter, der eben in Griffweite aufgetaucht war, und zog ihn ohne weitere Verzögerung mit einer eleganten Bewegung über den Schädel des Pfaffen.

Der Ton fehlte, aber das Feedback kam schnell und optisch brillant.

Eine staubige Fontäne sprühte in die kühle Luft der Kirche. Blut sprudelte aus einer klaffenden Wunde über des Pfaffen rechten Auges und stumm, mit offenem Mund, fiel dieser wie ein Sack in sich zusammen.

„Keines deiner Schäflein - das hättest Du wohl gerne gehabt, Du Schwanztrine!“

Schumann ließ den Leuchter fallen, stopfte sich eine Handvoll Hostien aus einer Schale in die Tasche seines Parkas und ging.

Die Tür zu und raus aus den Klamotten.

Der Duschvorhang zur Seite und schnell den Druck von nahezu kochendem Wasser in sein Gesicht.

Wasserdruck, der sonst in Hamburg fehlte, war hier am Stadtrand in Fülle vorhanden und die Temperatur reichte vom gefühlten minus 10 Grad bis knapp an die Schwelle, bei der sich Hähnchenhaut vom Hähnchen löste und mit kleinen Fettblasen im Ausguss verschwand.

Rauschen.

Druck.

Ausschalten.

Schumann kochte sich frei von Schuld und Sünde, oder was auch immer.  


2 Kapitel „Alder - am Arsch“

"Alder, Du schnarchst!“

Krömer war direkt im reinsten Sinne des Wortes und er dachte offenbar, dass es keinen besseren Weg gab, als solch ein Thema am vollbesetzten Frühstückstisch zu kommunizieren.

Vergessen war die Nacht und auch die Nachtwache aus Hinter- oder Vorder-Weiß-Russland.

Irgendwann hatten alle geschlafen, während andere rauchen waren und über die Flure tigerten, oder beides.

„Was?“, Schumann schreckte auf.

„Du schnarchst!“

„Kann nicht sein, ich habe noch nie geschnarcht, dafür gibt es Zeuginnen ohne Ende!"

„Alder, Du schnarchst wie ein alter Holzfäller..! Das geht gar nicht! ...", Krömer war in Fahrt und glitzerte Schumann über den Rand eines Wurstbrötchens an.

„Und Du, furzst wie… äh... ein oller Gaul...", Schumann war auch nicht auf die Klappe gefallen, aber noch nicht richtig warmgelaufen.

Trotzdem bekamen beide sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden am Tisch.

Die Mehrzahl war weiblich und damit beschäftigt die Kalorien aller Fresswaren auf ihren Tellern durch zu zählen. Schumann machte das auch oft, aber im Augenblick hatte er keine Kapazitäten dafür.

Er zählte alles andere in seinem Leben und heute Nacht waren es 67 Minuten, die er in der Spalte Schlaf mit einem kleinen mickrigen Bleistift eintrug.

Nicht weit von der Spalte Sex entfernt mit der kleinen roten Null.

Alles natürlich nur in seinem Kopf.

In der Excel-Synapsen Ecke, wie er sie manchmal zärtlich nannte.

Öde Schaumstoffbrötchen, abgepackte Frühstücksportionen aller möglichen klebrigen Langweiligkeiten und ein schönes ekliges Gespräch über intime Details, die man eben sonst nicht so hörte.

Selten jedenfalls dort draußen in freier Wildbahn und selten unter Männern.

Allerhöchstens vielleicht im Knast, aber das war die ganz andere Geschichte.

„Ich furze aber nicht nachts.", kam es rechts von ihm aus dem vollen Mund von Krömer.

Der fand es offenbar gerade auch nicht mehr ganz so komisch wie noch eben.

Flatulenz gegen schnödes Schnarchen, für das es sicher auch ein schönes Fremdwort gab.

„Ich schnarche nicht - das musst Du träumen.", Schumann war sich da sicher und wollte die Sache aus der Welt schaffen - schnell.

„Ich hatte vielleicht in den letzten Jahren keine so tolle Ehe. Aber ich kann Dir schriftlich geben, dass ich nicht schnarche, Du schwuchteliger Sachsendarm!"

Das hatte offenbar gesessen.

Krömer stand auf, warf sein Geschirr mit spitzen Lippen in den Spüler und trabte, ohne Schumann eines weiteren Blickes zu würdigen, aus der Szene.

Liebe ging durch den Magen - Sex durch den Darm - jedenfalls ausschließlich bei Krömer, der offen schwul war und mit seinem Arsch wackelte, als würde er einen frischgestrichenen Catwalk entlang ziehen.

Leicht peinliche Stimmung am Tisch.

Alle Damen zählten weiter ihre Kalorien und fraßen sich durch Unmengen von Brötchen, die ein Bäcker mit Stickstoff aufgeblasen hatte.

Schumann nuckelte weiter an seinem Espresso und ertrug die neugierigen Nichtblicke der anderen Frühstückenden.

„Na, ist doch wahr!"

Schumann schnaubte in seine Tasse und biss in eines der 3 Knäckebrote, die er vor sich auf dem Teller, fein säuberlich mit Butter und Erdbeer-Marmelade bestrichen, ausgebreitet hatte.

231 Kalorien nach Packungsangabe, aber wer wusste schon wie die messen.

Bloß kein Sesam war seine Devise und dieser blieb er auch heute treu.

„Jetzt wisst ihr fast alles über unser Zimmer - kommt doch abends mal vorbei Mädels!"

Um einer Antwort vorzugreifen machte auch Schumann schnell die Fliege und verließ die Frühstückstafel in Richtung des Dreibettzimmers.

Der Teppich dämpfte seine Schritte und ließ dem ganzen Szenario etwas an Seriosität fehlen.

Krömer lag jetzt entweder breitbeinig auf dem Bett oder war unten beim Rauchen, da machte Schumann sich wenig Sorgen, als er einigermaßen behutsam die Tür öffnete.

„Na, lädst Du schon den nächsten Ausstoß in die Röhre?" Schumann grinste Krömer frech an, der sich auf seinem Bett hinter einer VOGUE verschanzt hatte.

„Ich finde das nicht witzig! Ihr zwei schnarcht wie die Matrosen und ich kann nicht schlafen...", Krömers schwules Sächsisch kam jetzt so richtig schön durch und paarte sich mit einer pitoresken Note.

Wenn er sauer war, wurde es fast schon filmreif und Schumann kam nicht umhin, ihn weiter zu pisaken:

„Robert - ich wohne seitdem ich 20 bin fast ununterbrochen mit Weibern zusammen und Du wärst die Erste, die mich des Schnarchens bezichtigt."

So konnte ich ihn doch ganz humorvoll abholen auf seinem DIVA-Ross, dachte Schumann und schob den Hintern hinter sein Notebook, um sich die neuesten Errungenschaften der Welt dort draußen im Internet anzuschauen.

WLAN-Vibrator, Chromecasts, Flachbildglotzen, Notebooks... Pornos.

„Verbiestert und verkniffen!", schoss ihm durch den Schädel als er mit voller Wucht von dem schwulen Kuscheltier an der Seite seines Kopfes getroffen wurde.

Ein kleiner billiger Teddy aus Asien, bösartig beschleunigt von Krömer, der dabei grinsend aus seinem Bett hechtete.

„OOOAAARSCHLOCH!”

Jetzt flogen die Fetzen und Schumann erwischte Krömer gerade nicht mehr, als dieser raus auf den Flur rannte und sich ins nahe Treppenhaus absetzte.

Schumann wetzte ihm nach, bog um die Ecke und rutschte aus. Überall Federn!

Scheiß viele Federn!

Der glatte Boden wurde noch glatter und die Luft war rosa. Überall flogen Federn umher, als wenn ein Trupp von diesen komischen Vögeln, die man immer in der Glotze auf einem Bein stehen sah, durch das Treppenhaus gejagt wären.

„Wenn ich Dich kriege, dann stopfe ich Dir deinen Teddy in den Anus!"

Schumann hielt sich sein Knie, mit dem er in das hölzerne Treppengeländer gekracht war, und schleppte sich zum Fenster. Draußen auf der Wiese sah er Krömer gerade hinter einem der großen Rhododendren verschwinden, die dort, nahe der Fassaden der Fachwerkziegelbauten, in die Höhe wuchsen.

„Dich krieg ich schon ...", dachte er mit einem Grinsen, griff sich kurz seine Jacke aus dem offenstehenden Zimmer und sprang in die bereitstehenden Turnschuhe.

Eile mit Weile!

Einfach die Treppe runter, durch die Automatiktür raus auf den Vorplatz mit Rasen und dann der Spur folgen.

Spur gab es reichlich und gerade keinen Wind, der sie hätte verwehen können.

Nur einmal um den Block aus Waschbetonblumencontainern und dann hinüber auf die kleine Innenhofwiese mit den malerischen Birkenensemble und dem Räucherpavillon.

Schumann wollte nicht rennen, das kam nicht gut an diesem Ort.

„Alter, diesmal hast Du aber ganz schön dick aufgetragen.”, leicht atemlos kam er zu stehen.

„Wie viele Kilo Federn hast Du denn diesmal verloren?"

Schumann stand vor einer Eiche und hatte ein dämliches Grinsen im Gesicht.

Hinter ihm eine ca. 130 Meter lange Federboa, die sich lila und pink schillernd über den Rasen zog, und vor sich in ca. zwei Meter Höhe ein Krömer, der auf einem dickem Ast saß und ihn aus der Birke anschmollte.

„Ich hab's nicht so gemeint mit dem Fürzen..!", wie konnte man so einen Satz überhaupt sagen?

Schumann kam sich blöd vor aber Krömer drehte den gefiederten Schmollkopf noch ein Stück weiter zur Seite, so dass sein langer Schnabel eine schöne Silhouette vor der Nachmittagssonne abgab.

„Äh, komm Mann! Mach Dich da runter von dem Ast und spiel wieder mit uns."

Schumann versuchte so ernst wie möglich zu bleiben. Lange kannte er Krömer ja noch nicht - und nur einmal hatte er so eine Verwandlung davor mitbekommen.

„Robert mag nicht wie Du über seine Pupse sprichst! ", Krömer gackerte dazu wild und schüttelte seine meterlangen Schwanzfedern.

Das konnte jetzt Stunden dauern, ahnte Schumann und sah sich hilflos im Innenhof um.

Leicht zuckte er zusammen, als er im Augenwinkel bemerkte, dass er nicht mehr alleine war .

„Hallo Christian! Gott sei Dank, Du bist da. Hast Du ´ne Idee wie wir unseren schrägen Vogel da wieder runter kriegen?"

Christian, der mit Nachnamen Schindler hieß, war schon länger mit Krömer auf dem Zimmer und hatte vielleicht eine bessere Idee.

„Was habt Ihr denn schon wieder für einen Mist gebaut?"

Schindler war oft den halben Tag unterwegs und bekam nicht so viel mit von vielen Sachen.

Schumann zuckte die Achseln.

„ Ach, nur das übliche: Pipi , Kacka und Schlafen. Und dann zog er die Flamingo-Pfau-Nummer ab. Siehste ja selbst!”

Schumann zeigte auf die Federn, die sich überall auf dem Rasen ausgebreitet hatten und die auch Schindler nicht entgangen sein konnten.

„DU bist so ein fieser Arsch... ", Krömer zeterte dazwischen und Dutzende neue Federn flatterten herab.

„Halt DU mal die Klappe Du gefiederte Schwuchtel !", Schumann wedelte mit der Hand, um nicht vollends die Sicht zu verlieren.

„Robert muss Kacka...", Krömer krächzte immer lauter. Die Situation geriet zunehmend außer Kontrolle und mehr neugierige Köpfe erschienen an den reichlich vorhandenen Fenstern.

Montagnachmittag und der ganz normale Wahnsinn.

Sollte er er Rydberg holen und nach seiner Dienstwaffe fragen oder das eher den offiziellen Kräften überlassen, die vielleicht andere Spielzeuge für solche Fällen in ihrem Arsenal hatten.

Schumann wurde das Ganze zu doof, er sprang hoch und versuchte Krömer zu fassen.

Dieser war aber fix und flatterte auf.

Schumann plumpste auf den Hintern und kippte zur Seite.

Krömer hatte sich einen Ast weiter oben gesucht und grinste frech und beleidigt zugleich.

„Ich hab die Schnauze voll. Sieh zu wie Du mit dem Vogel fertig wirst."

Schumann rappelte sich auf und stapfte in Richtung Eingang.

„Ach, und was soll ich jetzt mit unserer Prinzessin machen?!", rief Schindler ihm hinterher.

„Keine Ahnung - vielleicht versuchst Du es hiermit !" Schumann hatte in seiner Tasche die Hostien entdeckt und streute sie auf den Blumenkasten neben dem Eingang.

Scheiß Tag - erstmal was essen - dann Glotzen oder Pornos gucken, oder anders herum im Bett liegen.

Vorher Duschen und diese Scheiß-Federn aus den Klamotten klopfen.

Bahh… wo war er hier gelandet und warum wollte er trotzdem nicht weg.


Ich hoffe man möchte jetzt auch die restlichen Kapitel lesen. Denn dafür sind sie da!

ViTA DES AUTORS

Kurzvita des Autors: André J. Lichte, 50 Jahre. Digitaler Art-Direktor und in den neuen Medien in Berlin, Köln und Hamburg aufgewachsen, nachdem er der Kleinstadt Lüneburg den Rücken zugekehrt hatte.

Spielt Volleyball und joggt und gewinnt jedes 80er-Jahre-Quiz. Ex-Blogger, Ex-Podcaster, Ex-Nerd, und ist durch fast nichts mehr aus der Ruhe zu bringen. Das S in seiner Musiksammlung reicht weiter über Steely Dan und Soundgarden hinaus. Trifft er auf Dialekte so assimiliert er diese und kann nicht aufhören bis er sich wieder im Norddeutschen erdet. Von Asimov, John Irving, TC Boyle und Chuck Palahniuk hat er fast alles gelesen. Dan Simmons „Hyperion“ hält er für göttlich.

Streitet sich seit Jahren mit Textern um flaue Texte und siegt oft im Kampf um die bessere Headline. Und hat kein Problem damit, wenn ein Verlag das Cover und die Typografie* des Buches für ihn gestaltet;-)


3 Kapitel „Das Essen ist scheiße!”

„... diese Stoffe machen schnell süchtig , ganz im Gegensatz zu Diazepam. Hier gibt es klare Vorgaben für Länge und Menge der Anwendung. Nur in Akutsituationen und nur unter ärztlicher Aufsicht im Rahmen --...".

Ein öder Vortrag ohne Ende.

Schumann hing auf einem der ungemütlichen Plastikstühle und hatte seine nackten Beine weit ausgestreckt.

Neben ihm im Stuhlkreis saßen viel zu viele Frauen, die ausnahmsweise mal nicht Kalorien zählten.

Daneben ein schmollender Krömer, Pichler der Alki und Schindler lauschten den wohligen Singsang von Dr. Nabelbaum vor dem weißen Flipchart.

„... beim unbeaufsichtigten Absetzen dieser Medikamente kann es zu unberechenbaren Seiteneffekten kommen…”

Schumann erwischte sich dabei wie er dämlich grinste und dabei an Rezeptblöcke dachte, die er vor Äonen einmal zur Müllverbrennungsanlage fahren musste.

Der Oberarzt hatte damals ihn, den naseweisen Zivi, zu sich ins Büro gerufen und streng instruiert.

Die Rezeptblöcke der Achtziger Jahre waren Schwarzweiß und selbst für einen Laien einfach zu fälschen.

Das hatten auch irgendwann kluge Verantwortliche herausgefunden und so sollte es demnächst rosafarbene Rezept-Vordrucke geben.

Es war die Steinzeit der EDV und Rottöne zu kopieren war noch nicht so einfach möglich.

Auch der Druck war schwierig, wogegen bereits jeder Idiot an jeder Ecke einen Kopierer bedienen konnte, der sehr einfach Schwarzweiß-Kopien erstellte.

Da die meisten Apotheker, wenn sie nicht vorne am Tresen Kunden bedienten, in ihren Laboren an bewußtsein- und augeninnendruckverändernden Substanzen bastelten und wohl auch naschten - so sagten es jedenfalls die Gerüchteküche im Chemiekurs des Gymnasiums - gab es nichts leichteres als eines dieser schwarzweißen Rezepte mittels moderner werdender Kopiertechnik und gut aufgetragenen Tippex, zu vervielfältigen und bei älteren Apothekern in den Abendstunden einzureichen.

Bevorzugt bei den brillentragenden, bärtigen Stelzböcken, die mit alk-roter Nase wenig später ihren Laden schließen und vor dem Weg zur Ehefrau einen kleinen Halt am Straßenstrich einlegten.

Alles Gerüchte, die sich so schnell und gerne in den Straßen einer Kleinstadt verbreiteten.

„Wie? Ich darf hier kein Koffein im Kaffee trinken und ihr schmeißt mit Benzos rum?!"

Pichler - ein Name eine Bestimmung - brachte es mit seinem lauten Einwurf auf den Punkt - wie so oft.

Stille.

Schumann erstarrte in seiner anekdotischen Erinnerungsblase.

Statt aus einem schlichten Hustensaft-Rezept als Rohling mittels XEROX-Technologie, eine jungfräuliche Menge weißer Blanko-Kopien zu erstellen, hatte er damals vom Chefarzt der psychiatrischen Klinik, gleich 3 Kartons hochoffizieller Originalblöcke bekommen, die jetzt auf dem Beifahrersitz seines Zivi -Busses lagen, mit dem er durch die Innenstadt rumpelte.

Schumann träumte sich durch Zeit und Raum.

Die Runde schaute verstohlen auf den Boden, aus dem Fenster und auf die Füße und Hände.

Wie Fahrstuhl - nur in groß und mit Teppich. Ein Soziotop der Sonderklasse.

Eine peinliche Stille, die man, wäre man technisch und kaufmännisch versierter, sofort hätte in Stücke schneiden und verpacken sollen, um sie per Internet an die Millionen prekärer SchamJunkies weltweit zu verkaufen, die sich abendlich durch die Niederungen des Privatfernsehens zappten und immer häufiger im Internet zu surfen anfingen.

Schumann war entzückt über Pichlers Einwurf und konnte sich nicht zurückhalten:

„Da hast Du eigentlich mal wieder den Nagel voll ins Schwarze gehauen, lieber Kollege. Ich darf Dir aber versichern, dass die meisten heute gebräuchlichen Psychopharmaka ihren Ursprung in der Nachkriegszeit, wenn nicht gar in der militärischen Forschung haben und die Jungs, die sich damals LSD rein geknallt haben, waren dieselben... ", Schumann hatte die Rezepte zur Seite geschoben und brachte sich mit Freude in die langweilige Runde ein.

Dienstagmorgen und 12 Erwachsene bekamen so etwas wie Nachhilfe im Bereich Hirn- und Stoffwechsel.

„Ja, Danke dann Herr Schumann !", bestimmt, doch freundlich unterbrach der Leiter dieser Unterrichtseinheit Dr. von Nabelbaum das aufkommende Gemurre und Gefrotzel in der Runde.

„Ich bin mir sicher, dass wir zu diesem Thema noch viele interessante Details ausgraben können - ich möchte jetzt aber die Runde mit einem Blitzlicht und einer kleinen Entspannungsübung beenden...".

Pichler grunzte mit leicht rotem Kopf und Schumann grinste als sich alle erhoben, um im Kreis eine idiotische Yogaübung zu machen.

Ommmmm!

Und bei jedem Ommmm kriegt der Daikiri Lama in Tibet 1 Cent per paypal dachte Schumann und ärgerte sich, dass er mal wieder die Klappe nicht hatte halten konnte.

Nach ein paar Minuten war alles vorbei und die Runde löste sich schnell auf.

Die Karawane zog es an die Futtertröge der Küche, wo gerade ein paar andere Menschlein damit beschäftigt waren, das Großküchenessen aus Warmhaltecontainern in Warmhalteboxen zu füllen.

Alles kontrolliert von den wachsamen Augen eines kleinen Männleins, das mit weißen Einweghandschuhen bemantelt, die ganze Aktion zu leiten schien.

Pfleger oder Patient?

Gab es da einen Unterschied?

Und war der wichtig?

Schumann zählte die Kalorien auf dem Teller von ESO-Sabine und lenkte sich damit von der Entscheidung ab welches Gericht er gleich wählen würde.

Jemand knuffte ihn von hinten rechts in die Seite. Pichler hatte sich von hinten angeschlichen und schwitzte wie ein Schwein.

„Na, alter Klugscheisser. Was wollteste denn da gerade für einen Vortrag halten über Benzos ?", er grinste frech und packte sich Menü 2 - Grünkohl mit Kassler, Kartoffeln und Senf - auf den Teller.

„Nix -wollte nur raus aus der drögen Veranstaltung! - kann es nicht mehr hören.-.", Schumann nahm Menü 1 und schaufelte sich labberige Pommes neben eine eiterig glänzende Currywurst.

Ein wenig Ketchup tropfte auf seinen rechten Fuß.

Egal

. Hier ging das und machte fast schon Sinn.

Weniger Sinn machte es, dass Pichler ihm jetzt am Hacken klebte und die letzten 3 freien Stühle an der Tafel leider wohl ein Nebeneinandersitzen unumgänglich machten. Seufz.

Dann war das jetzt halt so.

Schumann wollte den Prengel in sich reinstopfen und nahm dafür einiges in Kauf.

Still mümmelnd saßen beide am langen Tisch.

Die anderen saßen um sie herum.

Das übliche Geblubber und Geläster.

Lauteste Thema heute gerade : „Die Scheiß dumme Votze von der Zeitarbeit...”, womit wohl der kleine Russe gemeint sein konnte, der gestern Nacht offenbar auch an anderer Stelle unangenehm aufgefallen war.

Schumann zersägte seinen Curry-Prengel in 12 kleine Stücke und wischte damit in dem Kunstblutsee herum.

Es schmeckte - aber man hatte es nach 30 Minuten vergessen.

Da war der übliche Kantinen- und Mittagspauseneffekt, den er seit Jahren beobachtet hatte.

Jeden Tag.

Jede verfickte Mittagspause, die er mit den immer gleichen redundanten Gesprächen und Menschen verbracht hatte.

16 Jahre, minus Ferien, minus Wochenenden, minus gesetzlicher Feiertage.

Mal Mittagspause in Berlin, Köln, München, Karlsruhe oder Hamburg.

Die Städte änderten sich - aber die Menschen und ihre Sätze scheinbar nie.

Bumm, tschaka… zischhhh...

Jeden Tag um 14:43 schaute er auf die Uhr und konnte sich nicht mehr erinnern, was er eine oder eineinhalb Stunden zuvor gegessen hatte.

Dann konnte man es auch lassen.

Ganz.

Pichler schnippte hektisch mit einem Fuß unter dem Tisch herum:

„Scheiß Tabletten - die machen mich Krank... kann kaum pissen und schwitze wie Sau ..."

Schumann wusste was jetzt wieder kam und tunkte die Prengel-Stücke ein wenig energischer in sein Blutbad.

„Ich finde das Essen sieht mal wieder aus wie es schmeckt - Scheiße!", Pichler nahm Fahrt auf und es würde nicht lange dauern, bis die anderen Fress-Schwalben am Tisch in das Thema einstiegen.

Schumann wollte beim Essen - und auch sonst seine Ruhe haben - wenn er eines nicht leiden konnte - dann waren es fäkale Ausfälle zu dem Essen, das er sich gerade durch seine Speiseröhre in die Verdauung zuführte.

Mit eiskalten Blick fixierte er Pichler, der neben ihm mit der Gabel in seinem Grünkohl rumbohrte:

„Alder , ich habe es Dir schon mal gesagt - ich will SO etwas beim Essen über DAS Essen, DAS ich gerade esse, nicht hören. Wenn Du nicht sofort die Klappe hälst, bist Du nachher in einem OP, wo Sie vergeblich versuchen werden eine Gabel aus Deinem Kopf zu operieren. Sie werden es aber nicht schaffen, weil ich sie Dir von unten durch den Arsch rein gerammt habe!"

Schumann hatte seinen eisigen Clint Eastwood Ton aufgelegt...

Eisig wehte es auch über den Tisch.

Die Votze von der Zeitarbeit war auf einmal unwichtig angesichts solch offener Offenheit.

„Ist ja schon gut...", stammelte Pichler, "tut mir leid. Aber..."

„Nichts aber! Ich esse das Zeug hier gerade und ich esse keine Scheiße.", Schumann hatte sich in eine Mischung aus Rambo, Eastwood und Dr. Fumanchu verwandelt.

Wenn er einmal die Wade im Visier hatte, dann schlug er zu und ließ nicht locker bis die Pissnelke oder in diesem Fall der Alki, dem das fade Stücke gehörte, aufgab und die Klappe hielt.

Oder röchelte.

Oder piiieppppp... flatline.

Pichler, hatte die Sache kalt erwischt.

Vorhin glaubte er sich noch im Oberwasser, aber jetzt war er kurz davor zu heulen.

Er starrte auf seinen Teller, hielt Messer und Gabel steif in den aufgestützten Händen und lief rot unter seiner schweißüberströmten Kopfhaut an.

Die sprichwörtlich greifbare Stille waberte über den Tisch und nur Schumann schien genüsslich weiter in seiner roten Tunke zu baden und schob sich letzten Pommes in den Mund.

„Wie kannst Du nur so ein cooles Arschloch sein?" , Sabine, die mit den ESO-Tick und dem schrillen Tatoo am Hals, durchbrach die Stille und grinste Schumann lüsternd über den Tisch an.

„Alles eine Sache des Trainings... gute Nacht!", Schumann schlurfte mit seinem Tablett in die Küche zum Geschirrspüler und dann in direkter Linie in Richtung seines Zimmers.

Abends in einer Bar am Kiez hätte er sich ESO-Sabine vielleicht mal näher angeschaut oder auch schön gesoffen, hier stand ihm überhaupt nicht der Sinn danach.

Die Spalte Sex in seinem Kopf-Excel stand auf Null in rot und das war auch gut so.

Vögeln konnte Spaß machen, machte aber auch verletzlich.

Punkt!

Bloß keine Angriffsfläche bieten.

Nicht für Pichler und auch sonst niemanden hier. Grenzen setzen und beachten - das hatte er hier gelernt und das war ihm wichtig!

Sollten sie doch hinter seinem Rücken lästern wie sie wollten.

Er hatte seinen Spaß gehabt und seinen Schuss gesetzt - und wenn Pichler klug war, dann würde er auch glauben, was er gerade da gehörte hatte.

Schumann spürte wie ESO-Sabine ihn auf den Arsch schaute, als er den Flur runterschlurffte.

Noch 21 Schritte und er könnte sich wieder auf sein Bett werfen in dem Zimmer am Ende des Ganges, aus dem die Putztruppe heute morgen noch etliche Kilo Flamingo-Federn entfernt hatten.

Pustekuchen - aus das Licht - runter die Hose und erstmal schön ins Waschbecken pinkeln.

Dann husch husch ins Bett und Mittagsschlaf.

Schumann gähnte sich ins Lummaland und merkte schon nicht mehr wie Krömer und Schindler zurück auf das Zimmer kamen.

Den Rezeptblock hatte er auf dem Tisch neben seinem Bett abgelegt - darum wollte er sich später kümmern - erstmal schlummern.

Dies hier war ein sicherer Ort - hier konnte ihm nichts passieren… und deshalb war er hier.


4 Kapitel „Herr Hass und die Probleme”

„Haben sie kurz mal Zeit Herr Hass ?!", seltsamer Name - eher schon eine Strafe - aber irgendwie auch nicht unpassend hier.

Schumann stand in kurzer Jogginghose und Flipflops vor der offenen Tür und wollte sich erleichtern.

Da waren ein paar Sachen zu viel schief gelaufen und nun ja - das musste man regeln.

„Ich bin gleich für sie da, Herr Schumann. Warten sie doch bitte kurz nebenan."

Freundlich lächelnd verschwand der Mann mit dem deftigen Namen hinter einem Schrank und klapperte munter mit Plastik und anderen Sachen herum.

Schumann ließ sich in das Polster des 80er Jahre IKEA Sessels fallen und genoss die angenehme Ruhe zwischen den Sekunden, die an ihm vorbei rasten.

Kopf und Körper konnte man schlecht trennen, aber auf den Körper konnte man immerhin besser zugreifen - das hatte er hier gelernt und das war eigentlich auch ganz einleuchtend.

Äußerlich war Schumann total ruhig - da gab es keinen Zweifel und Anhaltspunkt für das Gegenteil, innerlich aber holperte er gerade wie ein klappriger VW-Käfer über einen Waldweg.

Das leiseste Anticken und er würde explodieren - so die Theorie und in der Praxis - nun ja, deswegen wollte er sprechen. Sprechen war gut.

Sprechen konnte jeder, wie auch eigentlich jeder laufen konnte.

Laufen war auch gut.

Aber irgendwann auch genug.

Schumann hatte heute morgen schon eine große Runde gedreht und war 14 KM durch den taufrischen Wald gelaufen.

41:23 min.

Für einen 45 Jährigen ganz okay.

Vor 10 Jahren war er das noch in 33:45 gelaufen.

Da hatte die Welt aber auch noch ganz anders geschmeckt und vor 20 Jahren hatte er auch noch 5 Mal in einer Nacht ejakulieren können… Zahlenspiele im Kopf waren wohl nicht so gut, merkte Schumann gerade, der geduldig weiter auf Hass wartete, der hinter der Schrankwand gemütlich am Rumklappern war.

Er musste sprechen.

Mehr sprechen und weniger Joggen, denn noch eine Runde würden sie ihm heute sicher genehmigen.

„So, da bin ich."

Hass kam beschwingt in das Halbdunkel des Zweckbaus und ließ sich in den anderen Sessel fallen.

Das fahle Licht des Spätsommers spiegelte sich auf seiner glatt polierten Glatze im Gegenlicht.

Hass war schlank, vielleicht 50 und hätte sowohl in einem Tarrentino einen SS-Typen als auch eine tuntige Dragqueen in einem Käfig voller Narren geben können.

Das war Schumann gleich im ersten Monat aufgefallen, hatte es aber für sich behalten.

Hass war nämlich eigentlich auch ganz okay und deshalb auserkoren als Sparringspartner beim Sprechen her zu halten.

Sprechen war wichtig.

Schumann schnaufte und lockerte den Griff um seine Knie.

„Ich habe da ein kleines Problem - und ich weiß nicht so recht wie ich damit umgehen soll...", Schumann war ein Meister des Drucksens und der gedehnten Pause, hatte sich aber vorgenommen hier mal gerade auf den Punkt zu kommen.

„Ich fühle mich hier unwohl und weiß mit einigen Sachen nicht so richtig umzugehen...", wobei das vielleicht auch nicht wirklich gerade klang.

„ ...also um genau zu sein - " Schumann kam in Fahrt und Hass schaltete ein buddhistisches Grinsen in sein Gesicht, das ihn sehr kompetent und väterlich wirken ließ.

„ also ich meine ... da draussen .-. also da draussen in der Realität da wüsste ich was ich machen würde...", Schumann redete in großen Kreisen um den Brei herum und seine Hände spielten ein seltsames Spiel mit dem Saum seines T-Shirts.

„Also Herr, Schumann. Sie müssen schon ein wenig konkreter werden...", Hass gab seiner Rhetorik Nachdruck, indem er seine fein manikürten Finger verschränkte und noch klüger und milder blickte.

„ Ja, gut also, ja ich meine das ist hier einfach ein Ort an dem ich mich sicher und geborgen fühlen möchte, weil es sonst hier gar keinen Sinn macht...", Schumann war gerade dabei sich zu öffnen, als dies auch die Tür an der langen Seite des Zimmers tat.

Frau Matheis Silhouette warf ihren sehr femininen Schatten in den Raum.

"Oh pardon, ich dachte...", sofort zog sie die Tür zu und ließ Schumann und Hass wieder alleine in ihrem angeregten Gespräch.

„ Wo waren sie gerade stehen geblieben?"

Hass´ Frage erreichte Schumanns Ohr, aber sein Kopf war leider schon wieder woanders, was auch an dem appetitlichen Anblick lag, der sich langsam von seiner Netzhaut löste.

Frau Matheis war toll - da hätte er gerne mal all seinen Charme an ihren Nippeln spielen lassen.

"Oh, äh... also ich wollte eigentlich nur sagen..."

Schumann war jetzt doch ein bisschen von der Rolle.

„Ach, wissen sie was Herr Hass, ich glaube ich komme da morgen noch mal wieder. Das wird schon alles irgendwie und gerade bin ich auch ein wenig durcheinander.”

Schumann stand auf und ging zügig zur Tür.

„Vielen Dank, aber für ihre Zeit und Geduld.”, schön war, dass man sich hier so verhalten konnte, wie man gerade wollte, und einem das niemand übel nehmen durfte, dachte er noch und huschte aus dem Zimmer.

„Kein Problem Herr Schumann. Danke, dass sie da waren. Ich bin morgen wieder in Spätschicht, dann können wir das weiter…”, Hass spulte noch einen einstudierten Dialog ab, aber Schumann war schon außer Hörweite.

Irgendetwas in seinem Schädel klingelte an einem kleinen Glöckchen.

"Jetzt ein fetter Joint!", Schumann liebte diese kleinen Neckereien und Pichler, der ihm gerade auf dem Flur entgegen kam, war nun einmal eines seiner Lieblingsopfer.

„ WAS?!"

Pichler hatte gehört, was nur er hören sollte und reagierte wie von Schumann gewollt.

„Was hast Du da gerade gesagt!?", Pichler wurde laut und andere sollten ihn hören.

"Joint! Das ist ein Tabu Thema. Darüber wird hier nicht gesprochen!", seine rauhe und weinerige Alki -Stimme klang über den Flur - nur leider war gerade niemand als williger Zeuge empfangsbereit und Schumann schon längst außer Hörweite.

Eilig schritt er in Richtung seines Zimmers, denn ihm war da gerade etwas eingefallen, was der Eile bedurfte und das Glöckchen hatte sich in ein schrilles Rasseln verzogen.


5 Kapitel ”Körperkontakt nur auf dem Zimmer”

Schumann stürmte in das Zimmer.

Er musste schnell zu seinem Nachttisch bevor es wieder weg war.

Sein Kopf fühlte sich wie ein Schwamm, der wochenlang in einem Waschbecken gelegen hatte.

Halb feucht, muffig, stinkend, klebrig.

Wegschmeissen und neuen nehmen - ging aber nicht.

Ein dumpfes Au! stoppte seinen Lauf.

,. AUtsch" Wer auch immer hier die Türen geplant hatte, hatte solche Unfälle billigend in Kauf genommen und trug zusammen mit dem Schrankhersteller auch an diesem Unfall eine Mitverantwortung.

In dem Dreieck, das sich zwischen nach innen öffnender Zimmertür und der ersten Wandschranktür dahinter bildete hatten sich sicher schon einige blutige Szenen abgespielt.

Da half auch alle Vorsicht nichts.

Die Bewohner der Zimmer waren eh meist keine Dauergäste oder Feinmotoriker.

„0h, Scheiße Mann! Tut mir leid!", Schumann hatte die Tür vorsichtig wieder ein Stück zurückgezogen und schaute vorsichtig um die Ecke.

„Mist!", kam es da leise gestöhnt aus dem Halbdunkel.

Als erster sah Schuman ein großes Runen-R auf einer sehr glatten und sehr muskulösen Schulter.

„Scheiße Mann, tut mir leid!", Schumann hätte sich gerne samt seiner Hoden in ein Schneckenhaus verzogen.

War aber gerade keins zur Stelle und seine Hoden hätte da da auch nicht reingepasst.

„Sorry, tut mir echt leid.", nochmals stotterte er in Richtung des athletischen Körpers vor sich, der Schindler gehörte, und der gerade von einem eng anliegenden weißen Shirt bedeckt wurde.

Puhh.

So nah war er einem Männerkörper seit der F-Jugend beim Duschen nicht mehr gekommen.

Rasierte sich der Kerl etwa die Achseln?

„Ist schon okay. Blöde Scheißtüren...", knurrte Schindler mit seiner lieben Kuschelbärstimme, die so gar nicht zu den Runen auf seiner Brust und Rücken passen wollten.

Die Türklinke hatte ihn zwischen zwei Rippen erwischt.

Doch da steckten offenbar genug Muskeln und der Klinke hatte das vielleicht sogar mehr weh getan.

Schindler duftete nach dem Äquivalent einer Douglas-Filiale und es war klar wohin er sich gleich wohl wieder auf den Weg machen würde.

„Hoffe ich habe keine wichtigen Teile getroffen.", säuselte Schumann, der einen Heidenrespekt vor der körperlichen Dominanz Schindlers hatte, schob sich an diesem vorbei in das Zimmer und versuchte locker zu bleiben.

Soviel Muskeln und so wenige Haare sah er selten, jedenfalls wenn er in den Spiegel schaute.

Süffisant grinste er zu Schindler rüber, der sich in Schale schmiss und letzte Korrekturen an seinem recht kurzen Haarwerk mittels Betongel vollbrachte.

Die Runen an den Oberarmen waren gut bedeckt und sollte der Verfassungsschutz den guten Mann mal auf der Straße treffen, müsste er sich schon ganz nackig machen, damit sich der Kontext dieser Beschriftungen erschließen würde.

Dann hätte der Besitzer - also Schindler - allerdings einiges zu erklären.

Reden war aber nicht so Schindlers Ding, das hatte Schumann schon begriffen und so wartete er auch gar mehr auf eine Antwort sondern versuchte sich daran zu erinnern, warum er hier so schnell in das gemeinsame Quartier geflogen war.

„Hallo Hase. Ja, ich komme gleich. Ich bin schon unterwegs...", Schindler war also auf dem Weg nach Hause, soviel konnte Schumann diesen Worten entnehmen, die sein Zimmergenossen dort in das allgegenwärtiges Handy säuselte.

Hase war wohl die Frau an Schindlers Seite, die zu Hause die Laken beheizte und den Kühlschrank füllte, während Schindler sich hier - nun sagen wir es mal ein wenig nebulös - anderen Damen gegenüber nicht abgeneigt zeigte und ein Ziel recht häufiger, eindeutig sexuell geprägter Avancen war.

Kurz, alle Weiber waren rattenscharf auf ihn und mindestens auch einer der Herren.

Krömer himmelte Schindler offen an, war aber wohl gerade anderweitig beschäftigt, denn sein Bett stand leer.

"Nee, noch alles dran. Keine Sorge. Bis später!", Schumann schreckte auf als er begriff, dass Schindler ihn meinte.

Doch ´Schwupps war Schindler aus dem Zimmer verschwunden und Schumann alleine mit seinem Schwammkopf.

Wie konnte man daraus eigentlich einen guten Witz bauen?

Treffen sich ein Schwuler, ein Nazi und ein Designer in einem Dreibettzimmer…

Schumann saß verträumt auf seiner Bettkante und sinnierte.

Er hatte den Schindler eben mit voller Wucht an der Seite erwischt, aber der hatte das weggesteckt wie einen Mückenstich.

Wie machten das diese Witzschreiber?

Könnte Schumann das auch, wenn er nur mal so ein paar Sachen wie das, was hier so abging, in kleine Glossen packte und auf einen Blog stellte.

Oder gleich ein dicker Roman?

Mal sehen wie lange er noch bleiben durfte.

Wo ist eigentlich der Krömer, wenn man ihn braucht?

Und wieso ist der nicht auf dem Zimmer.

Scheißegal.

Schumanns Kopf summte und die Tabellenzellen flimmerten leer vor sich hin.

113 Minuten waren es gestern Nacht, plus der 12 Minuten heute vormittag.

Schlafstörungen waren eine Erfahrung, die man nicht teilen konnte, denn auch die Zahlen waren sehr gespenstisch.

Schumann jedenfalls wachte jede Nacht zu der exakt selben Zeit wieder auf und konnte dann auf Teufel kaum raus nicht mehr einschlafen.

Wäre der Teufel wenigstens zu einem Plausch bereit, dann hätte es einen Sinn gehabt aufzuwachen, aber leider war der Belzebub immer schon wieder aus dem Fenster verschwunden.

Wie in einem schlechten Film aus der guten alten Zeit.

Stille.

Mit seinem wirren und leeren Kopf konnte er sich schlicht und einfach nicht mehr erinnern, was ihn eben noch wie eine aufgeschreckte Krähe durch den Gang jagen ließ.

„ScheißenDreck.", Schumann raufte sich die Haare und wippte auf der Bettkante.

Was war das bloß?

Vielleicht einfach mal eine Tablette nehmen und den langen, klebrigen Nachmittagsschlaf machen.

Tablette!

Genau das war es!

“”Baby, did you forget to take your meds.””

jetzt fiel es ihm wieder ein und hektisch begann er in der Schublade des Tischchens rum zu kramen.

Wo war der bloß hin?

Aller möglicher Scheiß da drin.

Kindermilchschokdade, Bleistifte, Blöcke, Kondome, Der Spiegel, ein Stiegg Larsson und 3 USB Kabel - eins mit Adapter und Netzteil.

Netzteile waren wichtig!

Sehr wichtig!

Scheiße - er war sich ganz sicher, dass er den Block hier gestern abgelegt hatte.

Kein Rezeptblock nirgendo..

Mist!

Seine ganzes Scheiß-Leben lang nicht einen Schlüssel verloren.

Nicht einmal Punkte in Flensburg.

Parkknöllchen, Vorstrafen nix.

Und jetzt mit einem Fuß im Knast.

Schumann spürte wie er immer dünnhäutiger wurde.

Da half gerade gar nichts - kein Ommm und kein Baum umarmen.

Mit Joggen war er auch schon durch für heute.

Schumanns Augen hasteten durch das Zimmer in dem 3 Menschen neben ihren Betten auf einfachsten Raum Habseeligkeiten aufbewahrten.

Plötzlich sprang er auf und ging in die Knie.

Sein Kopf berührte mit dem linken Ohr den Teppich, als er versuchte in den hintersten Ecken unter dem Bett seinen Schatz zu finden.

Nichts!

Da war alles Pico Bello sauber dank des Putzteams Fatima, das täglich den Feudel schwang und den Sauger durchs Zimmer rauschen ließ.

Jeden Tag die selben Tour durch die Gänge und die vollgesifften Zimmer.

Fatima war gerade raus.

Hier lag, kein Krümel Staub mehr auf dem anderen.

Lediglich ein Spitzen-BH lugte hinter dem hintersten Bettbein hervor.

Schumann reckte sich und bekam die zart duftenende Spitze gerade zu fassen, als mit einem lauten Knall die Tür aufflog.

Schumann schreckte hoch und knallte mit seinem Schädel und voller Wucht gegen etwas Hartes über ihm.

Noch bevor er stöhnen konnte zwitscherten Vögel mit Sternen um seinen Kopf und er sackte zusammen.

Schwarz.


6 Kapitel „Schumann in den Wolken”

Schumann liebte diese Wolken.

Sie sahen aus wie diese Schaumfüllung in den Waffeln, die er als Kind auf dem Rummel so gerne gegessen hatte.

Eine bitterbös süße, klebrige Masse, durchzogen von herrlich pampigen, doch immer leicht knusprigen Waffelgeraffel, das an den Spitzen in Schokolade getaucht worden war.

Korrekte Arbeit.

Vor ihm, direkt vor seiner Nase türmte sich ein unendlich hoher Berg dieser weißen Füllung auf.

Oben ragten, umwoben von einem nebligen Dunst, die Spitzen der Wabenstangen hervor.

So weit sein Auge reichte Schaum und Zucker.

Geil!

Er streckte seine Zunge aus und merkte erst jetzt, dass er mit nackten Füßen auf festem Boden stand.

Ein rombenartiges Mosaik zog sich sich unter seinen Zehen dahin.

Sah aus wie die Waffeln zu der Füllung, stutzte Schumann und tastete mit seinem rechten großen Onkel an einer Fuge entlang.

Die Füllung schmeckte traumhaft.

Seine Zunge bohrte sich in das weiße Schaum-Gebirge.

Unter seinen Füßen kribbelten die Waffeln und von weit, weit weg hörte er eine schöne kleine Melodie, die scheinbar von irgendwelchen Vögeln gezwischert wurde.

Weiter so, lecker... lecker und gerne noch ein bisschen von dem rosa Zeugs eine Etage tiefer… tiefer tiefer tiefer stieß er mit seine Zunge in die weiche rosa Creme...


7 Kapitel „Schumann hat eine Beule”

„Hallo Herr Schumann?!"

Mmnnhn .-.

„Herr Schumann..."

Oh lecker, Oh wie geil .-. ja bitte mehr ... Piep...

„Holst Du mal das Ammoniak Thorsten... der ist uns hier völlig weggetreten ..."

Miau.. Schnurrr.., Kickeriki...' uhja... gleich komme ich.... hör bitte nicht auf.

Schumann kringelte sich wie eine kleine Katze zusammen und leckte seinen Bauch.

Er hatte insgesamt 8 Brustwarzen und einen wunderbar weichen Nabel.

Oder waren das nur 6.

„ Ach, Und bring zur Sicherheit auch noch ..."

Vor Schumanns Zimmertür hatte sich eine kleine aufgeregte Schar versammelt.

Offenbar gab es einen Notfall und das mitten am helllichten Tag.

Schnell sprach sich so was herum und war eine willkommene Ablenkung von der tristen, doch wohl gewollten Langeweile der Etage.

Es gab hier nicht viel hier zwischen chemischer Ruhe und wilder Panik.

Nachrichten brauchten Boten und die gab es reichlich.

Der stete Strom der Raucher, die beständig auf dem Weg nach draußen oder eben drinnen waren, trug die Nachrichten schnell über die Etage.

„Was ist denn passiert?", ESO-Sabine wollte es aber auch immer ganz genau wissen und nahm kein Blatt vor den Mund.

Sie stand mit Batikshirt und wild aufgeregten Nippeln in der ersten Reihe - denn da sieht man mehr.

„Ist was mit Christian?", fragte sie neugierig in die Runde des kleinen Häufleins, das gerade eine Gasse für den Krankenpflegeschüler gemacht hatte.

Die anderen Damen dachten eher an Schindler und an seine Muskeln.

„Also, ich habe nur einen dumpfen Knall gehört und danach SO ein seltsames Stöhnen...", gab Paula zu Protokoll, die ein Zimmer weiter fett und faul im Bett gelegen hatte und sich die seltene Mühe gemacht hatte, die 7 Meter aus ihrem Bett auf den Flur zu rollen.

„Was ist denn hier los, die Damen?", Olav Krystian Rydbergs Kopf erschien aus der angrenzenden Zimmertür rechts.

Grauhaarig, durchtrainiert, immer mit Mütze und extrem stilvoll tätowiert.

Nur ein paar der Attribute, die auf Rydberg zutrafen, reichten um für Stille auf dem Flur zu sorgen.

Die versammelten Damen schauten verträumt in seine Richtung.

Stille.

Aber nur ganz kurz.

Eso-Sabine konnte sich nicht zurückhalten und plapperte wild drauf los:

„Schumann lag mit heruntergezogener Hose bewusstlos unter dem Bett und Römer hat sich im Bad verbarrikadiert.”

"Oha!"

Rydberg grinste genüsslich in die Runde.

Das traf es wohl gerüchteweise ziemlich präzise, nur dass Schumann mittlerweile wohl auf seinem Bett lag und von Frau Matheis und Doktor Nadelbaum umringt war.

Die Tür hatten beide gerade geschlossen und Krankenpflegeschüler Thorsten damit beauftragt, die nötigen Utensilien aus dem Stationszimmer zu holen.

„Na, hoffentlich hatten die beiden wenigstens Spass.”

Rydberg schüttelte den Kopf, zog die Kapuze tief ins Gesicht und ließ die Mischpoke links liegen.

Dabei verdeckte er nur halb eine markante Narbe, die seine rechte Schläfe zierte.

Einzelgänger oder nicht, das wusste niemand so genau, aber einige der Damen wünschten sich gerade, dass es nicht so sei und himmelten ihn unverhohlen an.

Rydberg ließ sie alle zappeln und schritt mit drahtigem Schritt den Flur entlang.

„Hallo Herr Schumann! Wachen sie auf!", Frau Matheis hatte sich auf eine ruhigere Schicht gefreut, war aber wie immer die vorbildliche Ruhe selbst.

Schumann lag auf dem Bett und hatte ein ziemlich dämliches Grinsen im Gesicht.

Das war noch nicht hoffnungslos und außerdem lief ein kleiner Speichelfaden aus seinem Mund.

Tot war der noch nicht.

„Muggla Saftin.", Schumann brabbelte leise etwas vor sich hin.

Dabei war er eigentlich immer noch damit beschäftigt mit seiner Zunge knusprige Waffelstücke aus dem Schaum zu frickeln und genüsslich zwischen seinen Backenzähnen zu zermalmen.

„ Endlich.", Frau Matheis ließ für den Bruchteil einer Sekunde ihre mütterliche Fassade herunter und funkelte in Richtung der Tür.

Thorsten, der lockige Krankenpflegerschüler kam in das Zimmer gestürmt.

„Was wollen Sie denn mit dem Defilibrator?", Dr. Nadelbaum, der während der letzten 5 Minuten auf seinem Smartphone herumgetippt hatte, zog eine Augenbraue hoch und nahm Thorsten aus dem Stapel auf seinem Arm ein kleines Fläschchen ab.

Mir einer schnellen Bewegung schraubte er es auf, verzog das Gesicht und hielt es dem leidigen Schumann unter diese Nase, dessen Gesicht sich darauf im Bruchteil einer Sekunde verfärbte.

"Fuck, Shit, Baah .-. Was ist das denn ?!", Nadelbaum hatte sich rechtzeitig von der Bettkante zurückgezogen und grinste ein wenig hämisch als Schumann jetzt wie ein Airbag im Bett aufsprang.

"Gut geschlafen? ", Nadelbaum übergab das Ammoniak zurück an den schwer bepackten Thorsten und lächelte Frau Matheis an.

"Ich denke sie schaffen das hier ohne mich. Schönen Nachmittag Herr Schumann. Kommen sie doch morgen Vormittag in mein Büro."

Schumann, der auf der Bettkante saß und mit seinen großen Zehen nach seinen Flipflops angelte, fühlte sich wie 1 Kubikmeter Bauschaum und betastete die riesige Beule an seinem Hinterkopf.

„Was ist los ?", ungläubig starrte er Matheis und Thorsten an.

„Wieder ein neues Medikament im Essen ?", vorsichtig betastete er den Coprozessor, der sich an seinem Hinterkopf bildete.

„Keine Medikamente, Herr Schumann - wir haben sie bewusstlos vor ihrem Bett gefunden.", Matheis schaute besorgt zu Thorsten hinüber.

"Wir haben sie in der Tonwerkstatt vermisst und Herr Auer hat sie dann hier in ihrem Zimmer gefunden. ", dabei hielt sie Schumann ein großes Glas Wasser hin.

Schumann versuchte den Geschmack, der sich undefinierbar in seinem Mund ausbreitete, mit einem großen Schluck zu neutralisieren.

„Und dann wollten sie mich elektrifizieren?", Schurmann grinste Thorsten an, der immer noch leicht dämlich mit einem riesigen Berg Utensilien, aus dem die Kabel eines Defilibrators heraushingen, neben Matheis stand.

Matheis ließ ihr mütterliches durchaus doch erotisches Lächeln aufblinken:

"Na, Herr Schumann ihnen scheint es ja schon wieder besser zu gehen."

Schumann streckte sich und schaute wie ein kaputtes Auto.

"Was ist denn passiert ?"

Die Beule an Seinem Kopf pulsierte heftig.

Da würde keine Cap mehr drüber passen.

Autsch.

Er konnte sich an nichts erinnern.

An nichts, innerhalb der letzten 30 Minuten wie es schien.

„Wie? Sie können sich an nichts erinnern?", Frau Matheis war mütterlich und dabei schweinesexy.

„Nö- ich würde es ihnen sonst sagen ...", Schumann stand wackelig im Zimmer und wartete auf eine sinnvolle Erklärung, von wem auch immer.

Mit einem lauten Krachen sprang die Tür zum Bad auf und Krömer steckte seinen Kopf raus.

Kopfhörer drin wie immer und offenbar frisch rasiert und deshalb leicht blutig.

„Was ist denn hier los?", Krömer hatte den linken Kopfhörer in der Hand und schaute überrascht in die Runde.

"Haben wir eine Razzia oder was?", schön schwul und gut pointiert wie immer.

Krömer brachte Schumann zum Grinsen

„Nichts! Nichts, ich kann mich jedenfalls an nichts erinnern ... und ich brauche jetzt ne heiße Dusche. Darf ich ?"

Schumann war aufgesprungen und betastete seine Beule guckte keck in Richtung Matheis.

Heiße MILF schoß ihm dabei wieder durch den Kopf und ohne auf ihre Antwort zu warten, schob er sich an Thorsten, dem "Defilibrator", vorbei ins Bad, das Krömer soeben verlassen hatte und sich wieder auf sein Bett geschmissen hatte.

„Passen sie nur ein wenig auf ihren Kreislauf auf...", flötete Matheis hinter ihm her.

Schumann nickte und verschloss die Tür von innen.

Erstmal in Ruhe kacken und dann schön heiß duschen.

Leider gab es hier im Bad keine Badewanne - dafür aber schön viel Druck und schön heiß.

Was für ein Schädel - grauenhafter Mist.

Bamm.

Abgang.


8 Kapitel „Schumann will Rydberg was sagen”

"Hallo Bulle. Alles senkrecht?"

Schumann saß am langen Tisch und starrte auf die Schale mit Äpfeln vor sich.

Die Dinger schmeckten nicht, aber sie sahen perfekt aus.

Ein schönes Stilleben, das er gerne mal skizzieren würde.

Nur so zum Zeitvertreib, um die Minuten, Sekunden und Stunden zu verkürzen, die klebrig durch den Tag zogen.

Vielleicht hatten ja viele Impressionisten vor einem Jahrhundert auch genau vor diesen Obstschüsseln gesessen?

Was einem Schumann alles so durch den Kopf gehen konnte.

„Alles groovy!"

Rydberg war "der Bulle" und er hatte sich gerade neben Schumann auf einen der Stühle fallen lassen.

Sein iphone lag exakt parallel zur Tischkante und war blitzblank sauber.

„Hab gehört, Du hattest Sex mit Krömer und dabei die Haltung verloren?", genüsslich und doch liebevoll ironisch ließ Rydberg die Worte aus seinem Mund perlen.

„ Was, Wo, wie?", Schumanns Kopf war leer und dröhnte selbst beim Sprechen.

Erst im 3. Echo hatte er annähernd verstanden was er da hörte.

„Na, die Beule an Deinem Döez - was ist damit? Die Damen glauben ihr habt es wild getrieben."

Rydberg grinste und wischte mit dem Ärmel sein sauberes iPHONE sauber.

Schumann verzog sein Gesicht zu einem Grinsen - aber auch das tat weh.

„Ich weiß nicht welche Damen Du meinst -aber meine Rosette ist aus Stahl. Die knackt niemand."

„ Na, dann ist ja alles locker:) ", grinste Rydberg, "und warum hattest Du die Hose unten?"

Dabei nahm er einen großen Schluck Cola Zero aus einer viel zu kleinen Dose zu sich.

„Lass den Kram. Nur weil ich mich an nichts erinnern kann , müssen ja nicht alle Schwatzdrosseln hier einen blöden Witz daraus machen.", Schumann hatte sich in der Runde umgeschaut und war extra etwas lauter geworden.

Sollten ruhig alle hören, dass mit ihm nicht zu scherzen war.

„ Ihr hatte also keinen einvernehmlichen geilen, Sex da auf dem Zimmer und es gibt kein Video davon?", Rydberg konnte gut nachbohren- soviel war klar - und er tat es mit Genuss.

„...nach meinen -...", wie Schuppen fiel es Schumann vor die Augen,"... ich habe nur nach meinen Rezepten gesucht.", den letzten Teil flüsterte er vor sich hin.

Rezepte, Schwarzweiß - genau das hatte er auf seinem Zimmer und unter dem Bett gesucht.

Langsam kamen dort ein paar Erinnerungsfetzen nach oben wie es schien.

„Oh, ein Wunder ist geschehen. Preiset den Herrn!", Rydberg war aufgesprungen, war mit einem schnellen Schritt über den Stuhl auf den Tisch gestiegen und stand nun breitbeinig als verkünde er die frohe Botschaft.

Seine Theatralik war sehr ausgefeilt und hatte einen pittoresken Touch, den gerade Schumann sehr mochte.

Die Damen waren sofort begeistert.

Endlich mal wieder was los - und vielleicht würde er sich ja auch noch ausziehen?

„Komm runter da!", zischte Schumann ihn an.

Ja, er konnte sich dank Rydbergs Sticheleien plötzlich wieder daran erinnern, was er unter dem Bett gesucht hatte - aber auch immer noch nicht an viel mehr danach.

„Komm runter da - in 10 Minuten unten am Raucher-Eck. Da erkläre ich Dir alles!"

Rydberg tanzte inzwischen wie ein Rumpelstilz auf dem Tisch herum und jonglierte mit Früchten und auch das machte er nicht schlecht.

Schumann ließ ihn machen und hetzte den Flur hinab.

Er stieß die Tür zum Treppenhaus auf und verschwand, ohne sich umzudrehen aus dem Osteingang.

Rydberg hatte währenddessen Eso-Sabine und Anuschka entdeckt, die gerade kichernd aus der Tonwerkstatt kamen.

Auch Dörte und Heike kamen um die Ecke, um noch zu sehen wie Rydberg mit einem Salto vom Tisch sprang und in perfekter Haltung vor Eso-Sabine in die Knie ging,

Mit weit ausgebreiteten Armen schmachtete Rydberg sie an und verfehlte seine Wirkung nicht als Sabine reichlich rot an den Wangen wurde.

„0h, holdes Weib, nun lass Dir sagen von mir dem einsamen armen Recken, dass Du schweigen mögst still von schändlich erlogener Sage über des Schumann Sohn. Kein Genital hat sich gebohrt in seines eisern Anus! Drum schweig Du still auf immer Du grässlich Weib."

Eso-Sabine brauchte ein wenig Zeit um zu kapieren, worum es gerade ging und als sie es endlich kapiert hatte, schossen ihr Tränen ins Gesicht.

Rydberg war aber schon längst in die offene Küche weiter getrottet und fing an den Kühlschrank neu zu sortieren.

Das musste er so machen und das machte er dann auch richtig gut.

War ein Zwang und nicht mehr nur eine Marotte.

Eso-Sabine stand schniefend am Ende des Raumes und gab ein Bild des Kummers ab.

Irgendwas machte sie scheinbar immer falsch und da half es doch sehr als just in diesem Moment die radebrechende Ava aus Algerien zusammen mit der stämmigen Chantal um die Ecke kamen und sie unter ihre Fittiche nahmen.

Eso-Sabines Geheule ging im Geklirre Rydbergs Geschirrs unter und vermischte sich mit dem Rauschen der Teppichreinigungsmaschine, die gerade gemächlich um die Ecke des Hauptflurs bog.

business as usual.

Shampoo-Paul auf seinem coolen Trecker hatte die Ruhe weg und einen Kopfhörer auf, in dem vielleicht ein Hörbuch mit satanistischen Kurzgeschichten oder auch TRUCK STOP lief.

Wer wusste das heute schon -und wen interessierte es auch.

Der Teppich musste gereinigt werden und Paul und sein Elektrotrecker summten durch die Szenerie wie die Abspannmusik einer Fernsehserie.


9 Kapitel „Schumann schmachtet”

Schumann fror sich den Arsch ab.

Er war in einem großen Bogen schnell um das Gelände gelaufen und stand jetzt im verregneten Hamburger Spätherbst draußen im Pavillon und sehnte sich danach wieder Raucher zu sein.

Das war er schon über 10 Jahre nicht mehr, aber irgendwo in seinem Kopf konnte man in einer Tabelle auch noch die Tage und Stunden dazu auslesen.

Trockener Raucher.

Ein anderes Wort dafür kannte er nicht, denn es gab seines Wissens keine AA für Zigaretten.

Hätten dann auch Anonyme Ex-Raucher heißen müssen.

Die letzte Zigarette hatte er in Köln in einer Bar geraucht und er konnte sich auch ohne fotografisches Gedächtnis jedes Detail dazu abrufen.

So eine wunderschöne mintfarbene P&S Packung aus ihrer knisterigen Plastikhülle zu lösen, zärtlich die Banderole zu öffnen, umständlich einen der duftenden Stängel aus seinem engen Gefängnis zu befreien.

Das leichte Schleifen des Papiers, wenn es die Enge der Packung verlässt, das betörende erotische Aroma, die Lust der Finger an dem Papierknistern - die rötlichen Stoppeln des Tabaks, der oben aus der Röhre sich reckt, in freudiger Erwartung des Feuers, das sich in Kürze aus dem Nichts seinen Fasern nähern wird, um seine Bestimmung und Existenz zu erfüllen.

Die Automatik-Türen schwangen auf und brachten Schumanns bildgewaltiges Epos zum Einsturz.

Pichler und drei der anstrengenden weiblichen Wesen, durchbrachen seinen meditativen Bilderrausch und beschlagnahmten tratschend die eben noch so klare Stille.

Er drehte sich reflexartig weg und schaute wie so oft auf sein Handy.

Kein Telefon - eher ein Totem oder wie man so was nennt.

Hätten die Anwesenden gewusst, dass Schumann in den letzten 10 Jahren vielleicht drei Stunden telefoniert hatte und sonst nur emails schrieb und chattete, wäre ihnen einiges noch unheimlicher geworden.

Schumann hasste Telefone und alle damit verbundenen Aktionen und Geräusche.

Telefone brachten immer unverhoffte und somit meist schlechte Nachrichten und die konnte Schumann überhaupt nicht leiden. Ein Trauma, das ihn eines Tages einfach so erreichte und dann nicht wieder los ließ.

Hatte mit einem sehr guten aber leider toten Freund zu tun, der ihn viel zu früh und einsam auf diesem Planeten zurückließ.

Wo blieb Rydberg denn?

Die zehn Minuten waren längst um und Schumann hatte nach der Runde um den Block eigentlich gehofft, Rydberg ins Vertrauen zu ziehen.

Stattdessen musste er sich jetzt als schmachtender Ex-Raucher im Fremdterritorium rumtreiben und dabei wollte er doch nie wieder an einer Fluppe hängen: „Hallo, ich bin Richard Schumann und Ex-Raucher.”

Die Zeiten waren vorbei und Süchte waren etwas für die Schwachen und Doofen.

„ Hallo, Herr Schumann. Unter die Raucher gegangen?", schräg von hinten rechts angequatscht zu werden, schien hier normal zu sein, dachte Schumann und blickte sich trotz eines kleinen Schrecks mit gebotener Ruhe um.

Die Stimme war ihm bekannt, da musste er sich nicht eilen.

„Hallo Dr. Klotz", der bärtige Sakko Träger mit der leicht unglücklichen Körperhaltung reichte Schumann gerade mal bis zum Kinn. ln Folge dieses Höhenunterschieds bemerkte Schumann auch nicht sofort die zum Gruß entgegen gestreckte Hand.

„ Nein, nein keine Sorge. Ich habe mein Schmachten im Griff ", Schumann machte sich einen Spaß daraus die kleine Hand des Arztes extra fest zu drücken.

"Ich warte hier nur auf einen Informanten", gab er sich weiterhin geheimnisvoll.

Klotz, der sein Schmachten offenbar nicht in Griff hatte, kramte eine Schachtel Gauloise heraus und fing an, in schnellen Zügen an einer zu ziehen.

„ Ein Informant? Das klingt geheimnisvoll", Klotz hatte Probleme mit Humor und wahrscheinlich auch mit Ironie und war viel zu sehr in seinem Beruf drin, um etwas nicht ernst zu nehmen, was er hier zu hören bekam.

„Keine Sorge, ich passe auf und bin ja hier sonst schnell beim Notarzt", ließ Schumann ihn mit einem verschwörerischen Grinsen wissen. Dann ließ er Klotz stehen und rauchen und trollte sich aus der Ecke hinfort.

Rydberg wirkte und war eigentlich sehr zuverlässig, sein Nichterscheinen sehr untypisch, Schumann riss Hangout auf und schob Rydberg eine Nachricht.

„ Wo bist du mieses Luder ? Ich habe gewartet ..."

Als nach 3 Minuten immer noch keine Antwort auf dem Handy erschienen war, hatte Schumann schon wieder die Hälfte von allem vergessen und war mittels Kopfhörer in den Klangkathedralen einer schwedischen Metallband versunken.

Es war immer gut jemand zu kennen, dem es noch schlechter ging als einem selbst… und wer konnte besser leiden als Jonas Renske mit seiner Engelsstimme, die er Jahre lang beim Growlen glatt geschliffen hatte.

Blut floss in Strömen aus den Boxentürmen in die Nacht und ergoss sich in die matschige Wiese vor dem zwei Meter hohen Sänger, der in seinen katatonischen Träumen versank, während Schumann sich bewaffnet mit einem nacktem Oberkörper und seiner Stahlunterhose durch den Moshpit prügelte… damals

Er war einer Laune folgend über die regennasse Wiese gestolpert und hatte im Gehen die diversen Apps seines Handys durchgeklickt. Wie Rydberg war auch Schumann ein InfoJunkie, der sich ein Leben ohne online nicht mehr vorstellen wollte und konnte.

Neben guter Ernährung und Sport für den eigenen Körper kam an nächster Stelle das Akku Management seiner diversen Endgeräte. Heute morgen hatte Schumann ein seltsames Verhalten seines kleinen Androiden erst auf den gestrigen Unfall zurückgeführt, gerade aber machte ihn der Akkuzustand seines Gerätes stutzig.

„ Komme gleich -hatte hier ein kleines Problem! "

Rydbergs Nachricht ließ das kleine Gerät vibrieren.

Schumann grinste.

Auf Rydberg war Verlass, alte Schule sozusagen, der wusste was sich gehörte und warum man online war und überhaupt.

Schumann machte sich also 0,3 % weniger Sorgen.

Ein wenig bedrohlich fand er nur das Blinken seiner Akku- Anzeige , die stand bei 23 % was angesichts der Uhrzeit nicht gut war.

Beule hin oder her- Schumann war sich ganz sicher, die Kiste wie jeden Tag ordentlich zum Aufladen weggelegt zu haben.

1. Androidssches Gesetz : Körperpflege und Akkupflege ist die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken.

Musste er sich vielleicht mal aufschreiben oder irgendwohin posten.

Twitter oder Blog, Facebook oder lieber google plus?

Konnte er eigentlich auch gleich machen; hatte ja alle Tools dabei.

Bevor der Akku weg war und er auch, also im metaphrösen Sinne, sollte er dringend noch!

Schumann fluchte kurz und mehr war auch nicht drin, denn der Abgrund, der sich hier gerade vor ihm auftat, war dunkel und nass und beschleunigte seine 95 kg mittels Erdanziehung.

Auf einer Stiege aus glitschigem Laub und Moos raste er eine Treppe hinab und merkte wie seine Hacken von den schartigen Kanten aufgeschnitten wurden.

"WTF..." stieß es noch dumpf aus ihm heraus, bevor es fiese Schmerzen gab und dunkel wurde.

Schumann spürte wie das Adrenalin sich auf den Weg machte und ein oder zwei harte Kanten, aber dann auch nur noch kurz wie er mit seinem Schädel und den darin weit aufgerissenen Augen auf etwas Dunkles und ...

PIEP ...

und dunkel.


10 Kapitel „Rydberg startet durch”

Rydberg musste schmunzeln.

Gerade eben hatte er sich eine anregende Debatte mit Pichler und Dörte am Tisch geleistet.

Wann auch immer es ging, schien Rydberg seine Sticheleien zielsicher an die Frau zu bringen und einen Heidenspaß daran zu entwickeln, gerade die zarter Besaiteten schön böse ranzunehmen.

Seine Waffen waren Ironie und Sarkasmus und das Ganze wurde munitioniert von einem Zynismus, der sich erst erklärte, wenn man erfuhr, was Rydberg in den letzten Jahren so getrieben hatte.

Dass Eso-Sabine sichtlich angeschlagen war, und auch wirklich nun so über gar keine Nehmer-Qualitäten verfügte, war Rydberg Schnurz Piep egal, und so hatte er das auch eben noch mal klar und deutlich gemacht.

"Ich kann dieses schlangenmäßige Gesabbel von der Schnalle einfach nicht ertragen...", hatte er noch Dörte und Pichler hingeworfen und dann die Kurve gekratzt, ohne der im Raum stehenden Aufforderung zur Entschuldigung einen Hauch Beachtung zu schenken.

Er hatte Wichtigeres im Kopf und sah nicht in geringstem Maße die Notwendigkeit, sich zu entschuldigen.

Es war immer gut klare Fronten zu haben und zu wissen wo der Gegner saß.

Aufklärung war der entscheidende Faktor in jedem Gefecht - und Rydberg war ein Meister dieser Kunst, wenngleich auch er hier manchmal seltsame Verdrehungen machen musste und nicht auf seine gewohnten Hilfsmittel zurückgreifen konnte.

War halt kein Luxushotel hier und auch kein Urlaub im eigentlichen Sinne.

Das ganze Gefasel und Gesabbel hier ging ihm jedenfalls sehr auf den Sack und wenn er Chef von dem Laden wäre, hätte er hier einige Sachen anders laufen lassen.

Mehr Sport, weniger fettes Essen und mehr Konfrontationen, nicht so soft und yogamäßig alles.

Wenn schon dann Finger rein in die Wunde und ein bisschen darin rumbohren - und vorher nicht das Salz vergessen - schön Billiges aus dem Supermarkt-Regal mit Riesel-Hilfe und Flourid.

Damit man danach auch noch was davon hatte.

Was auch immer.

Meep... brrr.-.

Rydberg holte sein IPhone raus, das schon wieder summte.

Was?

Was wollte denn der Spinner Schumann schon wieder?

Hätte er dem bloß nie seine Kontaktdaten gegeben.

Den hatten Sie auch nur aus Versehen hier rein gecastet - oder er hatte sich hier hochgevögelt.

Schräger Typ - aber besser noch als Eso-Sabine und ihre Energiesteine.

„Komme gleich..." Rydberg hackte heftig in die Tasten und erinnerte sich wieder an die Verabredung, die er vor 10 Minuten getroffen hatte.

Wo wollte sich Schumann nochmal mit ihm treffen?

Scheiß Gehirn - eher eine siebartige Masse in letzter Zeit.

„Wo steckst Du?"

Rydberg tippte schnell und schlüpfte in das Halbdunkel seines Zimmers.

Schumann gehörte zu den ganz netten Irren hier im Laden und er wusste wie man einen Geschirrspüler richtig einräumte, so viel hatte Rydberg sich im Kopf notiert.

Ständig schleppte der so ein Tablet mit sich rum und skizzierte darauf herum.

Irgend so ein Art-Fuzzi, von denen Rydberg eine Menge kannte oder auch bei seiner Arbeit schon kennengelernt hatte.

Dreckig trockener Humor, seltsame Frisur auf dem Kopf und um keinen Spruch verlegen.

Aber gerade wohl schon - denn eine Antwort blieb er dem Chat schuldig.

Rydberg schlüpfte in seine Jacke und nahm sein Rauchwerk mit.

Gerade kam Hobel, sein veganer Zimmergenosse mit zwei randvollen Taschen Obst zurück aufs Zimmer.

„Moin!"

„MOIN! Ich bin Rauchen. Falls der Schumann hier auftaucht - schick ihn runter zu mir. Und bitte stapel Dein muffiges Gemöse nicht wieder unter dem Bett."

Rydberg hätte Hobels Vater sein können und diesen Trumpf spielte er mal wieder genüsslich aus.

Der kleine zwanzigjährige Muskelprotz gab so viel Angriffsfläche, da konnte man gar nicht daneben schießen.

Hobel murmelte irgendwas Freches vor sich hin, doch Rydberg war schon mit drahtigem Schritt außer Hörweite.

Dass Hobel sich gleich nach dem Verlassen des Zimmers eine von Rydbergs fein säuberlich gefalteten Shorts aus dem Schrank zog und damit im Bad verschwand, sollte ihm heute verborgen bleiben.


11 Kapitel „Schumann im Keller”

Irgendwas tropfte.

Alles war nass.

Schumann war Schmerz.

Ein klebriger Saft hatte sich zwischen Lippen und Zahnfleisch geschoben.

Den Geruch von Katzenpisse, Kot und Moder erkannte sein Gehirn - der Rest blieb überwältigend undefiniert.

Hier stank es.

Und seine Zunge wog 3 Kilo und etwas - nein ganz viel- war überhaupt nicht in Ordnung.

Diese Meldung schoss seit ca.20 Sekunden durch seinen schmerzenden und dröhnenden Schädel, der sich um einen gewaltigen Propfen hinter seiner Stirn drängte.

War er in Migränien im Urlaub, fragte ein kleiner Schalk in seinem Nacken, der ekelig nass an seinen Jackenkragen klebte und dabei wohl auch hinein pinkelte.

Alles bewegte sich irgendwie.

Schumann wollte neugierig wie er leider nun einmal war herausfinden woran das lag.

Dafür brauchte er seine Augen, die nur gerade so gar nicht reagierten.

Panik schlug auf ihn ein.

Seine Augen waren auf - aber er sah absolut nichts.

Dunkel, Schwarz, nada.

Seine Augenbrauen und Wimpern streiften kurz etwas, was den Schließreflex gleich wieder auslöste.

Die völlige Abwesenheit von Licht und der Geschmack in seinem Mund erklärten sich erst langsam als er seine dicke schwere Zunge versuchte zu bewegen und dabei an eine Art Stoff stieß.

Scheiße.

Was war hier los?

Und was war mit dem Rest seines Körpers?

Schumann versuchte sich zu bewegen und merkte erstaunt, dass das offenbar nicht gewünscht war.

Über seine Brust spannte sich eine Tonne Gewicht und an Armen und Beinen realisierte er ähnliches.

Seine Hose und sein Parka klebten nass an ihm und sein Arsch sendete unangenehme Signale von einer harten Fläche, die sich zu bewegen schien.

Schumann versuchte den Kopf, der offenbar in einem Sack steckte, zu heben, was seine Stirn sofort mit grässlichen Schmerzen quittierte.

Dazu kann die Erkenntnis, dass offenbar auch eine Art Riemen über seinen Hals gespannt war, der schmerzhaft in sein Fleisch schnitt und der Panik weiteres Futter gab.

Er war gefangen.

Gefesselt.

Verletzt.

Hilflos.

Gründe genug, um wild zu schreien - aber auch das ging nicht.

Das Ding in seinem Mund war nicht nur seine Zunge, da steckte noch etwas anderes.

Schumann war am Arsch, so viel schien sicher und er konnte nicht anders als wieder zurück zu sinken und den seltsam dumpfen Schleifen zu lauschen, das die ganze Szenerie untermalte.

Sein geschundener Körper versank in sich und Schumanns Geist versuchte sich an einer sachlichen Analyse der Situation.

Er war offenbar gefesselt und wurde auf einer Art Liege geschoben.

Wer schob ihn?

Eine Frage, die sich so nicht beantworten ließ außer vielleicht über den Geruch?

Doch wer roch so wie die Mischung, die sich durch seine Nase in seinen Kopf schob und peinigte?

Wer konnte ihn so kunstvoll fesseln und hatte die nötigen Werkzeuge - besaß aber auch die Dreistigkeit ihm einen stinkenden Sack über den Kopf zu ziehen und überhaupt.

Was sollte der Knebel und wo war er hier gelandet?

Eine Analyse konnte man es nicht wirklich nennen, was Schumann da hervor brachte, denn sehr schnell kam er angesichts der unangenehmen Lage in der sich sein Körper befand zu dem Schluss, dass er sich in einer sehr unangenehmen Lage insgesamt befand.

Analyse war anders - das hier war Panik.

Highway to panik.

Kalter Schweiß schoss aus seinen Poren als er realisierte, dass das seltsam schleifende Geräusch direkt über seinem Kopf entstand und offenbar der ihn schiebenden Person zuzuordnen war.

Was es nicht weniger schön machte, denn dann hatte er es entweder mit Frankensteins Monster direkt zu tun oder einem seiner Nachfahren. Schumann biss auf das eklige Stück in seinem Mund und freute sich fast , dass es da war.

Sein Gehirn arbeitete fieberhaft und verbrauchte gerade sicher mehr Kalorien als sonstwer in seinem Körper.

Die Bewegung stoppte.

Nach einem schier unendlich langen Flur, plötzlich Stille.

Gefolgt von einem pneumatischen Zischen.

Offenbar war hier ein Fahrstuhl oder ähnliches.

Ein leichter Luftzug kann durch die klebrige Masse an Schumanns Stirn gezogen.

Die Liege wurde mit dem gleichen stoischen Schleifen ein Stück nach vorne geschoben und das pneumatischen Zischen, das Schumann an eine langsame Variante der Türen im Todesstern denken ließ, bestätigte seine Mutmaßung: ein Fahrstuhl.

Und es ging abwärts - aber von oben war er ja vorhin gekommen.

Sehr langsam und wieder sehr lange.



12 Kapitel „Suchen und Rauchen”

Rydberg hatte jetzt die halbe Schachtel Kötze weggequalmt.

Eigentlich brauchte er sonst 2 Tage dafür, aber gerade nagte an ihm eine ganz seltsame Unruhe, die er weg zu rauchen versuchte.

Nirgendwo ein Schumann zu sehen oder irgendeine Spur, die ihm Aufschluß gegeben hätte über den Aufenthaltsort dieses seltsamen Gesellen.

Nirgendwo war der Kerl zu sehen.

Alle bekannten und bereits gemeinsam bewanderten Orte hatte er abgegrast und die letzte Nachricht von Schumann leuchtete immer noch oben in seinen Chatfenster, das zudem noch verkündete, das dieser online sei.

Aber wo zum Teufel, verdammt noch mal?!

Und warum ging der Freak nicht dran?

Rydberg, der ähnlich ungern telefonierte wie Schumann hatte nach einer halben Stunde freiwillig diesen umständlichen Akt der Kommunikation gewählt - billige Nummer das- hoffnungslos: Schumann ging nicht dran, Schumann chattete nicht, mit Schumann stimmte etwas nicht, also ging er auch nicht ans Telefon.

Oberste Regel des 2. Androidschen Kommunikationsgesetzes: wenn Du chattest - oder neudeutsch - textest → dann sei da und bleibe im flow.

Das war Schumann immer und innerhalb von einer Minute kam sonst ein Lebenszeichen von ihm.

Auch mitten in der Nacht oder vom Klo.

Nichts.

Der Screen blieb diesmal leer.

Keine Nachricht.

Nix - doch sein Avatar online.

Rydberg wurde nervös und paffte sich durch das Gelände.

Selbst durch die hellerleuchtete Cafeteria war er geschlurfft, und hatte mittlerweile auch im Wartebereich der Notaufnahme nachgeschaut.

Sicher ist sicher, safety first.

Rydberg klickerte sein Handy durch und tippte schnell Hobels Nummer ein.

War Schumann inzwischen oben bei ihm aufgetaucht?

„Hallo Hobel, na alles klar?"

Es raschelte und klirrte seltsam als Hobel endlich antwortete, aber was war nicht seltsam bei Hobel, dachte Rydberg.

Hobel gehörte auch noch zur Rasse der sexuell Unentschlossenen - und- viel schlimmer - er hatte kein Smartphone!

„,-n. was wo.-. ja logen ... alles im Lot ... Wo steckst Du denn? Man vermisst Dich schon.", Hobel näselte aufgeregt wie ein 15jähriger und versuchte dabei angestrengt wie ein 30jähriger zu klingen.

Nix war authentisch an diesem Knaben.

Rydberg stöhnte : „Wer vermisst mich?"

Früher in Rom wäre Hobel schon längst vom Kaiser in die Arena geworfen worden und deshalb gibt es jetzt auch schwule Löwen, dachte Rydberg.

„Wer vermisst mich ?", Rydberg wusste, dass in Hobels Hirn tausend andere Sachen wichtiger waren als die klare präzise Wortwahl, und auch das bei dem Jungen die billigen Lego-Steine verbaut worden waren, schien in solchen Situationen nicht besonders hilfreich.

„ Na, hier von cool Alder - die ganzen Mädels und auch die Schabotz und der Dingler suchen Dich..."

Rydberg schaute auf die Uhr und merkte, dass er schon seit 2 Stunden unterwegs war.

Upsi.

Wo war die Zeit geblieben?

Hier lief die Zeit ein wenig anders, aber er hatte sich wohl doch ein wenig in der Suche verfranst.

Mist.

"Okay, ich komme..."

Rydberg ließ Schumann, Schumann sein, ging schnurstracks über den Rasen und betrat das Gebäude aus der Nachkriegszeit.

Es roch wie immer steril und war blitzblank geputzt, was einem enormen Kontingent an Putzkräfte zu verdanken war, die tag ein tag aus, immer wieder die gleichen Handgriffe erledigend, durch die Zimmer staksten.

Kleinere Unreinheiten blieben Rydberg aber auch hier nicht verborgen - aber - das musste jetzt warten.

Er stieg die Treppe hoch und sah seine Spiegelung noch einmal in der Scheibe vor der draußen herbeiziehenden Dämmerung.

Wo steckte der Schumann bloß?

Und was würde er der Schabotz und dem Dingler erklären, die ihn schon hinter der Glastür erwarteten.


13 Kapitel „Hubschraubereinsatz”

Chaos.

Pures Chaos.

Auf der Station, die sonst so friedlich und autark wie eine WG vor sich hin brummte und sich auch so anfühlen sollte, ging alles drunter und drüber.

Türen klapperten und Münder schnatterten, in der Küche klapperte der Geschirrspüler laut und ein paar der Pfleger, die sich sonst wirklich nicht unter der Last von Arbeit beugen mussten, rannten mir hektischen Flecken im Gesicht über den langen roten Flur.

Am großen Tisch hatte sich eine Traube gebildet und man diskutierte mögliche Gründe und Abgründe für das Verschwinden eines Mitbewohners.

Roter Teppich.

Hier hatte man sich mal etwas ganz besonderes ausgedacht.

Hygienisch sicher bedenklich und optisch im Küchenbereich nicht zur Nachahmung empfohlen, aber durch die eigens dafür angeschaffte Teppichwaschmaschine einmal im Monat von der Putztruppe mit Leidenschaft von diversen Fleckarragements befreit.

All das war Büscheling, der in Begleitung seiner Kollegin Rudolph den Stationsflur betrat, egal.

Es war 30 Minuten vor Feierabend und sie waren einfach nur am nächsten dran, als der Funkspruch durch den Äther ging.

Gerade hatte er im nahen Stadt-Forst im Rahmen eines ominösen Selbstmords ermittelt. Besser, er hatte den ermittelnden Beamten vom LKA geholfen das Gelände abzusichern.

Handlangerjob mit dem Vorteil, dass er nicht in der Gehirnmasse des Waidmanns rumstochern musste, die in Teilen an der getäfelten Holzdecke klebte und auf der kopflosen Leiche darunter.

Dass toter Professor hier seit Jahren Studentinnen vernaschte, konnten die klugen Kollegen auch gefälligst selbst herausfinden.

Das wusste Büscheling auch eigentlich gar nicht offiziell und so stakste er zufrieden mit einer Rolle Absperrband durch den Garten und verband die von Rudolph gesetzten Stäbe liebevoll zu einer hoch amtlichen Absperrung.

Er würde in den nächsten Tagen hier noch mal vorbeischauen und sich ein Bild von der Lage - besonders der Lage der Sauna und des Schlafzimmers - machen.

Jetzt war aber erst mal genug des Guten, als das Funkgerät schnarzte.

"17.4. in Klinikum avavon Ost. Station 20. Bitte ein Wagen dorthin".

Rudolph hatte den kürzeren Weg zum Funk und bestätigte sofort.

„Wagen 19 ist in der Nähe. Wir machen das."

Nach bevor Büscheling etwas sagen konnte, hatte seine junge Kollegin mal wieder die Initiative ergriffen.

Normaler Weise hätte er sich das nicht gefallen lassen von so einem Grünschnabel, aber es gab da eindeutig ein paar Argumente, die Büscheling seit ein paar Wochen den Verstand verdrehten und die Arbeit wieder Spaß machen ließ, so dass er einfach nur freundlich nickte und seiner Kollegin den Fahrersitz überließ und es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich machte.

Das war Routine.

17.4.

War der Code für vermisste Person.

Kurz rein, Protokoll aufnehmen und dann alles ans LKA weiterleiten.

Je nach Profil musste dann dort jemand in der Nachtschicht entscheiden - ab wann man welches Programm fahren würde.

Hundestaffel, Hubschrauber, Wärmebildkamera all dieses teure Zeug für einen armen Irren, der sich wahrscheinlich gerade einen dicken Joint hinter einer Regentonne reinzog oder mit ausgebreiteten Armen der Holsteiner Regionalbahn entgegen lief.

Oder beides.

Beides besser für den Steuerzahler.

Büscheling schaltete sein Gehirn auf Feierabend und ließ Rudolph ganz alleine machen.

„Gehen sie ruhig rein , die Tür ist offen!", Büscheling und Rudolph standen immer noch vor der Tür und warteten auf das Summen eines Türöffners, als sich eine ca. 17-fährige Hippie -Dame aus dem Zimmer kommend an ihnen vorbei schob und die Tür dabei offen stehen ließ.

"Ist nämlich ´ne offene Station!"

Verdutzt schob Hauptkommissar Büscheling seinen wuchtigen Körper hinter Rudolphs Knackarsch in das verglaste Büro.

Offen?

Was sollte das denn wieder für ein Scheiß sein?

"Ah, da sind sie ja, kommen sie rein. ", Schwester Schabotz begrüßte die beiden uniformierten Beamten und führte sie in ein Nebenzimmer, in dem sich ein kleines Grüppchen Zivilisten um eine junge Frau in einem weißen Arztkittel scharrte.

„Gut, dass sie so schnell kommen konnten. Wir vermissen seit 4 Stunden einen unserer Patienten."

Die junge hübsche Frau im Kittel reichte Büscheling gerade mal bis zum Kinn.

„Büscheling, angenehm - und das ist meine Kollegin Rudolph. ", stotterte Büscheling als niemand sonst etwas sagte.

Nettes Lächeln, schöner Mund, diese Lippen, genau sein Typ dachte er gerade, als Rudolph sich mit dienstlicher Eile und einem süffisanten Seitenblick vorschob.

„Guten Tag. Mein Name ist Rudolph. Was können sie uns hilfreiches über ihren Patienten sagen. Warum war er auf der Offenen Station? War damit zu rechnen, war sein Verhalten normal...", Rudolph hatte einen Elan, der manchmal erdrückend war und fing sofort an auf ihrem Block Notizen zu machen.

Die Ärztin, die sich als Frau Kettelbach vorgestellt hatte, fand daran scheinbar überhaupt nichts schlimm und verschwand mit Rudolph in einer Ecke des Raumes, wo sich Aktenordner und ein PC befanden.

Büscheling bemerkte dabei, dass beide den gleichen Pferdeschwanz trugen und musste unweigerlich an Sex denken, als er bemerkte wie ihn die restlichen Mitarbeiter - oder waren das etwa Patienten - neugierig anstarrten.

Er räuspert sich und zog auch seinen Notizblock aus der Tasche.

Offene Station!

Warum riefen die überhaupt an, wenn hier jeder raus und rein konnte wie er wollte?

Seltsamer Laden - und dann dieser Teppich...

„Ehm, hallo... Also, können Sie mir noch erhellendes mitteilen zu dem Vermissten und mir bitte sein Zimmer zeigen und jemand, der ihn zuletzt gesehen hat."

Büscheling mit Block in der Hand war einfach Vollprofi und gleich drei der anwesenden Damen und ein Herr ereiferten sich, ihm den Weg zum Zimmer des Vermissten zu zeigen.

Man einigte sich schließlich auf eine gemeinsame Begehung des gesamten Flures, auf dem eh schon reichlich Trubel war, da offenbar niemand mehr auf seinem Zimmer bleiben wollte und es enormen Gesprächsbedarf unter allen Anwesenden gab.

Waren das jetzt Patienten?

Büscheling war sich nicht sicher und hatte Probleme, Pflegepersonal von Patienten zu unterscheiden.

Ganz normale Menschen hier.

Würde man seinen Nachbarn hier treffen, wäre das kein Wunder.

Und dieser tolle rote Teppich.

Sowas hatten sie im Präsidium nicht - wäre dann wahrscheinlich aber auch grün oder blau. „So, hier sind wir erst mal beim Zimmer von Herrn Rydberg. Der hat den Herrn Schumann wohl zuletzt gesehen."

Der kleine Trupp stand vor Zimmer 8 und Frau Kettelbach klopfte zaghaft an die Tür. "Herein. Es ist offen", kam es zackig geflötet von innen, offenbar wurde man bereits erwartet.

"Hallo Herr Rydberg.", Frau Kettelbach führte die Truppe in den Raum.

"Hier sind 2 Damen und Herren von der Polizei. Können sie uns wohl kurz zum Zimmer von Herrn Schumann begleiten?"

Hans Christian Rydberg stand mitten im Zimmer und faltete gerade Wäsche auf DINa4 Größe.

Langsam drehte er sich zur Tür und schaute in Richtung der kleinen Delegation im Eingang.

Es gab Augenblicke, die konnte man für Geld nicht kaufen oder als Regisseur nicht inszenieren.

„Christian?", Büscheling, eben noch Profi mit Block in der Hand, hatte als letzter und größter den Raum betreten und schaute über die Köpfe der anderen.

Sein Gehirn setzte gerade für mehrere tausendstel Sekunden aus - da war der Name seines Polizeisportkumpels aber schon aus seinem Mund gefahren.

"Sie kennen sich? Na, das ist ja praktisch.", Frau Kettelbach war eine Meisterin der Improvisation und verfügte offenbar über einen gesunden Humor.

Mit einer freundlichen Geste deutete sie in Richtung des Flurs und schob den kleinen Haufen Menschen behutsam wieder aus dem Zimmer.

"Dann zeigen wir ihnen jetzt mal das Zimmer von Herrn Schumann."

Büscheling hatte immer noch nicht die Sprache wieder gefunden und versuchte nicht völlig zur Säule zu erstarren.

Rydberg, Kettelbach, Rudolph und die anderen schoben sich an ihm vorbei hinaus in den Flur.

Rydberg grinste frech, sagte aber kein Wort und ließ Büscheling in seinem Sud stehen. Dieser kam erst ganz langsam zur Besinnung.

Wie es seine Art war ließ er noch einen Blick durch das Zimmer schweifen.

Tadellos sauber und aufgeräumt schien die eine Hälfte, im krassen Kontrast zu der anderen, wo scheinbar ein Hippie seine Zelte aufgeschlagen haben musste.

Egal.

Jetzt bloß nicht aus der Ruhe kommen.

Man traf jedenfalls nicht jeden Tag einen Kollegen in einer- offenen - psychiatrischen Einrichtung.

Büscheling zog die Tür umständlich hinter sich zu und sah wie Rudolph ihn fragend fixierte.

Was denn?

Büscheling ließ sich aber nichts mehr anmerken und hatte seinen kleinen Kontrollverlust von eben schon wieder unter Kontrolle.

Was Hans Rydberg konnte, konnte ein Büscheling schon lange und es würde sicher später noch einmal Gelegenheit geben, sich auszutauschen.

Wäre er doch bloß nicht an den Funk gegangen, dann säße er jetzt auf dem Weg nach Hause und müsste sich nicht mit den offenen Irren hier herum ärgern.

Wurscht.

Rudolph konnte ja weiter das Reden übernehmen und das tat sie sicherlich gerne.

"So, das ist hier das Zimmer von Herrn Schumann und Herrn Römer und Herrn Schindler."

Wieder hatte Frau Kettelbach das Heft in die Hand genommen und klopfte schwungvoll an die Tür des letzten Zimmers im Flur.

Rydberg hatte sich mit Händen in der Tasche auffällig nahe hinter Rudolph postiert und bis jetzt noch kein Wert gesprochen.

Nichts.

Stille aus dem Zimmer.

"Ronny, mach auf! Du bist umzingelt, hier spricht die Polizei!"

Alle zuckten zusammen und Rudolph entfuhr eine kleines Glucksen.

Genau darauf hatte es Rydberg wohl abgesehen und war an ihr vorbei neben Frau Kettelbach getreten, die nicht unamüsiert mit den Augen rollte.

"Ronny!", laut klopfte Rydberg an die Tür und machte sich offenbar wenig Gedanken über die Privatsphäre seiner Mitpatienten.

Schwupps war die Tür auf und Rydberg in dem Zimmer.

„ Leer! Niemand da - kommen Sie rein.", Rydberg hatte jetzt die Show in der Hand, was Frau Kettelbach offenbar nichts ausmachte: "Ich sehe schon, Herr Rydberg ist da sicher der richtige Zeuge und kann ihnen alles zeigen. Wenn Sie mich entschuldigen würden? Ich habe Bereitschaft und muss mich noch um 3 weitere Stationen kümmern auf denen es noch ein wenig schwungvoller zugeht.", Kettelbach sprach in Richtung Rudolph und zog eine Auenbraue leicht hoch.

"Frau Schabotz und Herr Dingler sind ja auch da."

Mit diesen Worten schwiff die junge Dame davon und ließ die restliche Truppe alleine.

Büscheling klammerte sich an seinem Block fest und verdeckte mit seiner Silhouette fast das ganze Flurfenster.

„...würde ich vorschlagen ich lass mir hier von Frau Schabotz und Herrn Dingler alles weitere zeigen ..", Rudolph führte das Wort, ".- und wir beiden Hübschen, gehen raus eine rauchen ..." unterbrach sie Rydberg und deutete auf Büscheling, der wie ein großer Bär den Block mit seinen Tatzen zerknetete.

„Guter Plan," befand Rudolph und schritt vorab in das verlassene Dreibettzimmer. Rydberg grinste sie frech an und war schon draußen bevor Büscheling dies registrieren konnte.

„Na, Großer. Soll ich Dich treten oder kommst Du freiwillig die Treppe mit runter?.."

Rydberg hielt die Automatik Glastür und ließ Paul vorbei, den Mann für den Teppich, der mit einem kleinen Trecker einmal in der Woche auf die Station kam und stoisch die Reinigung desselben betrieb.

Paul grinste Rydberg an und grüßte dem großen Bullen hinter ihm ehrfürchtig.

„Polizei haben wir hier aber selten auf dem roten Teppich.”, dabei beließ er es und rollte mit einigem Getöse weiter.

Rydberg grinste mit einer Zigarette im Mundwinkel und winkte Büscheling aus der Tür.


14 Kapitel „Schumann in der Hölle”

Stille.

Unbequeme Stille.

Ein modriger Geruch und so etwas wie ein Surren, das sich anhörte als würden Bienen an einer großen Melone eine Party feiern.

Warum Schumann gerade auf so ein Bild kam.

Es war ihm egal.

Sein ganzer Körper war ein Fest der Schmerzen und es juckte ihn gewaltig an Stellen, die man im allgemeinen unter der Dusche gut abseifte und dann für den Rest des Tages darauf saß.

Die schier endlose Fahrt in dem offenbar hochmodernen Fahrstuhl, hatte ihm keinerlei Anhaltspunkt gegeben, und auch alle Versuche sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, waren an den Fesselungen seines Körpers gescheitert.

Er war hier in einen ganz großen Mist geschlittert und hatte keine Ahnung, wie er das jemals in seinen Memoiren verarbeiten sollte.

Schlimmer noch, er fürchtete restendlich den Verstand zu verlieren.

Eine Tatsache, die ihn schon zwei Monate zuvor Kummer bereitet hatte.

Deswegen war er ja auch mit seiner Hausärztin übereingekommen, dass ein Sanatoriumsbesuch durchaus angebracht war.

Einige Sachen waren davor mächtig schief gelaufen und Schumann sehr dankbar für die Auszeit.

Annehmbares Essen, durchgeknallte aber auch nette Mitbewohner, ein naher Wald mit tollen Laufstrecken und das gute Gefühl sicher aufgehoben zu sein bei ganz normalen Menschen. Da passte das jetzt leider gar nicht dazu.

Es juckte ihn wahnsinnig am Arsch und sein Kopf fühlte sich wie ein verbeulter Kübel Blech an.

Auch die Beule von Hinterkopf tat einiges dazu ihn zu peinigen.

Was war hier los?

Tot war er nicht, denn in der Hölle gab es nach allgemeinem Glauben keinen Fahrstuhl.

Ein kleiner Trost.

Aber bitte schön, wo war er dann und was oder wer zum Teufel hatte ihn eben durch die Gegend gerollt?

Schumann kam ins Schwitzen und hätte gerne laut rum geschrien, aber nur der Gedanke daran ließ ihn wieder schmerzlich in den ekligen Knödel in seinem Mund beißen.

In der Hölle brauchte man eigentlich auch keinen Sack über dem Kopf, tröstete sich Schumann und ließ erst mal mächtig einen fahren.

Das Zeitgefühl hatte er total verloren, seine Finger kamen gerade mal an die Hosennaht und auch das wäre nicht wirklich hilfreich, denn weder hatte er in den Taschen eine James Bond-Ausrüstung noch einen Mac Gyver-Trick parat mit dem er sich hier hätte raus zaubern können.

Während er so da lag und versuchte ruhig durch die Nase zu atmen kam ihm alles sehr weit weg und unwirklich vor.

Hatte er doch bloß was ordentliches in der Schule gelernt und wäre nicht in dieser seltsamen Branche gelandet.

Hätte, wäre, sollte.

Schumann machte alles was man an seiner Stelle nicht mit dem Kopf machen sollte, aber da er gerade ziemlich wenig mit dem anderen Körperteilen machen konnte...

Es bewegte sich.

Das Surren der Party Bienen hatte abrupt aufgehört und etwas eindeutig mechanisches näherte sich ihm.

Schnell und sehr geradlinig.

Schumann bekam Panik.

Purste, reinste Form der Panik.

Leider hatte er schon wieder vergessen wie dieser Stoff hieß, den der Körper nun frei setzte und der eigentlich dafür da war die normalen Fluchtinstinkte zu steuern und zu triggern.

Hätte ihm aber auch nichts gebracht, denn das Zeug schoss quasi aus seinen Poren und Schumann konnte nur ahnen, ob er sich gerade einpinkelte oder nicht, denn er hatte komplett die Kontrolle über seinen Körper verloren.

Gleißend hell schoss Licht in seinen Körper.

Sterne tanzten um seinen Kopf herum.

Waren überall und erhoben sich hell und grell myriadenfach vor seinen Kopf.

Wo eben noch schwarz und klebrig - war urplötzlich hell und weiß.

Da wo noch vor Tagen Zahlen und Tabellenzellen seinen Geist vernebelten, war jetzt gerade mal einfach nur weiß und hell.

Etwas oder jemand, Schumann hatte wirklich keine Ahnung, musste ihm ganz schnell den Sack vom Kopf gezogen haben, begriff irgendwas im Gehirn unseres geschundenen Opfers, doch die lähmende Helligkeit machte aus dem Denken ein lang gezogenes Stöhnen.

Schumann wollte fluchen und dabei beschloß seine Zunge automatisch, dass es an der Zeit war diesen widerlichen Lappen aus seinem Mund zu spucken.

Er schrie, wie man eben so schrie, wenn man jahrzehntelang nicht geschrien hatte, weil man viel zu gedämpft und gefangen lebte.


15 Kapitel „Protokolle - Blöcke - Fahndung!”

Büscheling hatte keine Ahnung wie lange es her war, seitdem er Rydberg das letzte Mal gesehen hatte.

Sie hatten zusammen in Wedel die Schulbank gedrückt und kannten sich sogar flüchtig aus dem Sandkasten.

Schaufel, Eimer, Förmchen, Klackermatsch.

Man baute so nebeneinander her und dann riss man das Zeug wieder ein.

Später spielte man auf dem Pausenhof Fußball zusammen und schubste auf dem Heimweg Mädchen in die Hecke.

Rydberg hatte Büscheling in der Grundschule das erste Mal richtig wahrgenommen, als dieser auf einem leuchtend roten Bonanzarad mit einer Vollbremsung vor dem Fahrradkeller hielt und es sichtlich genoss, wie ihn alle Anwesenden um das heiße Gefährt beneideten.

3-Gang-Schaltung, Chopper-Lehne und zu allem Protz auch noch ein Fuchsschwanz, der rötlich leuchtend vom Lenker baumelte.

Das war damals ohne Frage eine heiße Show und Büscheling konnte sich gut daran erinnern, wie er damals gerade mal ein kleines gelbes Klapprad an den Ständer schloss, das sich nicht entfernt in einer Liga mit dem Rydbergschen Gefährt befand.

Rydberg war cool und Büscheling spielte an den Nachmittagen immer noch gerne in der Sandkiste, als Rydberg, dessen Eltern zwei Häuser neben Büschelings eingezogen waren, bereits eines der ersten Skateboards, die man in deutschen Landen kaufen konnte, souverän über Gehwege steuerte.

Heißer Typ und Hans Wurst in allen Tassen.

Büscheling hatte währenddessen im Sand den d-day mit Plastik-Soldaten nachgebaut und brachte Restbestände von Ladykrachern zum Einsatz.

Alles flog in die Luft und es stank so schön nach verbranntem Plastik.

Trotz aller Unterschiede wurden sie Freunde, was nicht auch zuletzt dem TUS Wedel, der F-Jugend und einer Vorliebe ihrer Eltern für Dänemark-Urlaube zu verdanken war.

Zweimal die Woche radelten Büscheling und Rydberg, der mittlerweile auch wieder ein normales Fahrrad benutzte, weil das Bonanzarad in die Hände gut organisierter albanischer Fahrraddiebe gefallen war, die zwei Kilometer zum Vereinsplatz des Unterligisten und träumten unter Trainer Bosch von einer Profifussballer-Karriere.

Irgendwie.

Zu Zeiten als man noch Namen wie Rudi Kargus oder Kevin Keagan hörte und es neben Blutgrätsche, Flanke und Tor nicht viel gab.

Während Rydberg ein gewisses tänzerisches Talent mit Coolness verband und im linken Außensturm sehr erfolgreich auf Torjagd ging, entwickelte Büscheling sich als Libero und Spielmacher, der es verstand in der Defensive Gegner effizient vom Ball zu trennen und im Spiel nach vorne, umsichtige und präzise Flanken in die Laufwege der Stürmer zu spielen.

Beide hatten sehr fußballbegeisterte Eltern, die es sich nicht nehmen ließen an den Wochenenden am Spielfeldrand ein riesiges und lautes Tohuwabohu zu veranstalten.

Man feuerte die Jungs an, kam sich näher, fand sich sympathisch und fortan verbrachte man gemeinsam mindestens einen Urlaub im Jahr in einer kleinen dänischen Hütte, wenn man sich nicht gegenseitig zum Grillen oder Filmeschauen in der Nachbarschaft einlud.

Olaf und Hans und ihre jeweils kleinen Schwestern verbrachten fast jeden Tag zusammen im Spiel und fieberten den Urlauben als Höhepunkten des Jahres entgegen.

Das dänische Holzhaus am Meer und die Dünen waren Büscheling so vertraut, dass er jetzt gerne ein Bier dabei gehabt hätte, um das Wiedersehen mit seinem Kind- und Jugendfreund gebührend zu feiern.

„Alter Schwede! Wie lange ist das her?“, fuhr es aus Büscheling als sie unten vor dem Gebäude an einem Pavillon stehen blieben.

Rydberg hatte sich eine Zigarette in den Mundwinkel gesteckt und hielt die offene Packung in Büschelings Richtung.

„Meinst Du unser letztes dienstliches Treffen oder den Kasten Bier in Blaavand?“

Rydberg steckte sich die Zigarette an und verstaute dann die Utensilien in seiner Jacke.

Büscheling hatte das Rauchen vor Jahren aufgegeben und höflich abgelehnt, war jetzt aber doch ein wenig schmachtend.

„Ha, erinnere mich nicht an den Kasten…“, Büscheling grinste wie das berühmte Pferd des Honigkuchens und setzte sich auf einen der weißen Monoblöcke.

Der Kasten, ja an den konnte er sich in der Tat noch erinnern.

Was für eine Nacht!

Rydberg hatte sich auf die Kante eines Waschbetonblumenkastens gesetzt und zog tief an dem unvermeidlichen Glimmstengel.

So kannte ihn Büscheling von früher, aber das war 25 Jahre her.

Rydberg stieß eine Giftwolke aus und schrabte mit dem rechten Fuß über die vermosten Waschbetonsteine, die ein Gartenarchitekt der ganz alten Schule hier abgelegt hatte.

Eine von vielen Steininseln, die sich über die Rasen der Klinikflächen zogen und so was wie Sammelstellen markierten.

Überzogen von Kippenstummeln und schlechten Gesprächen.

Besetzt bei Sommer wie Winter, Regen und Schnee.

Wer hier drinnen war, der wollte alle paar Stunden auch mal wieder raus und kam dann nicht wieder los von den ewigen Phrasen und Hohlheiten.

Rydbergs Blick versank in den Fugen der Platten – dass ausgerechnet sein alter Jugendfreund hier in Blauzeug aufkreuzen musste.

„Unser letztes dienstliches Treffen – ja ich kann mich noch daran erinnern.“, Büschelings Stimme klang amüsiert aber auch verunsichert.

Wie sollte er es hier auch richtig anfangen an diesem Ort mit seinem alten Kumpel, der offenbar nicht dienstlich hier war.

„Was ist los? Was ist passiert?“, immer noch mit dem Block in der Hand fragte Büscheling also einfach wie ein Bulle halt so fragt.

Rydberg grinste und schaute Büscheling durch den Qualm seiner Fluppe an.

„Was wollen Sie hören, Herr Oberwachtmeister? Meine ganz große Lebensgeschichte mit allen Tälern, Tunneln und Höhlen?“

Rydberg schlug die Beine übereinander und krallte seine Fäuste in die Taschen seines Kapuzenpullis, “…oder warum hier jemand auf den Alarmknopf gedrückt hat und die Kavallerie zur Hilfe gerufen hat?“

Büscheling guckte ziemlich dämlich auf die Linien des Blocks und suchte die Pausetaste für den Film in seinem Kopf, der in Höchstgeschwindigkeit die letzten zwanzig Jahre vor ihm abspulte.

„Tja, hmm…“, er nestelte an seiner Nase herum und warf einen Blick in Richtung des Gebäudes aus dem sie gerade getreten waren, „…vermutlich sollte ich mich wohl erst mal um das Dienstliche kümmern.“

Das alles hier war recht skurril und Büscheling fand das ein paar harte Fakten vielleicht ein guter Anfang waren.

Er ließ also die brennenden Fragen zurück und machte auf Bulle.

Bulle mit Block.

„Wer ist dieser Schumann, warum glaubt jemand wir müssen ihn suchen und wann hast Du ihn zum letzten Mal gesehen?“

Rydberg grinste durch eine Rauchschwade: „Richtig so, gute Entscheidung, erst die Arbeit dann das Verderben.“

Er stand auf und fing an vor Büscheling auf und ab zu hippeln.

„Also der Schumann: 45 Jahre, glaube ich, dafür ganz gut in Schuß, ca. 186 auf mindestens 90 kg, Jogger, straßenköterblond und ziemlich schlecht frisiert und selten rasiert. 2 Kinder. Ist sehr ruhig und wenn er mal was sagt, dann ist das meist witzig und hat Hand + Fuß. Macht wohl irgendwas mit Design und schleppt den ganzen Tag so ein Tablet vor sich her auf dem er mit einem Stift kritzelt.“

Büscheling schrieb sich ein paar Stichpunkte auf – damit der Block nicht so leer blieb – konnte sich aber nicht wirklich konzentrieren.

Der Film in seinem Kopf lief immer weiter auch wenn ein wenig langsamer.

So viel Spaß und so viel Jugend liefen gerade durch seinen mittlerweile kahlen Kopf.

„Und er war so ziemlich der einzige erträgliche Mensch hier drin – auch wenn er ein wenig viel rum sponn…“, Rydberg ging weiterhin nervös auf und ab, während er sein professionelles Protokoll von sich gab und paffte wild vor sich her.

„Wann hast Du ihn zuletzt gesehen? Glaubst Du, der hat sich was -… „, Büscheling stockte und hatte einen großen Klops im Hals.

Das große böse S und M Wort…

„Nein, der tut sich nichts an. Ich weiß das, weil ich den mit seinen Kindern zusammen gesehen habe.“, offenbar hatte Rydberg das auch alles schon bedacht.

Er fuhr fort: „Nee, nee das ist es ja was so seltsam ist. Der wollte sich nur ausruhen hier. Der hatte es nicht leicht. Aber so einer bringt sich nicht um.“

Rydberg hatte sich schon wieder eine Kippe angesteckt.

„Ich hab den mittags das letzte Mal gesehen. Da war der noch gut drauf – und wollte mir mir auch irgendwas besprechen. Der schreibt wohl auch Bücher. Na, jedenfalls war er dann nicht zu finden – und glaube mir, ich habe hier auch schon jeden Stein umgedreht. Der ist weg.“

Rydberg wippte auf den Hacken seiner Samba Sportschuhe.

Büscheling kratzte sich am Kopf.

Das klang alles sehr normal.

Wahrscheinlich kam der Typ gleich um die Ecke, hoffte er.

Schreibkram gab das sowieso noch reichlich, aber vielleicht konnte Rydberg ja helfen, den Typen ausfindig zu machen, wenn er schon mal hier vor Ort war.

Als wenn Rydberg Büschelings Gedanken gelesen hätte, schoss es aus diesem hervor: „Nein, vergiss das ganz schnell. Ich bin nicht im Dienst und auch wenn der Kerl ganz nett ist, ich muss hier auch meinen eigenen Saft sortieren. Fahrt ihr mal das ganz normale Programm und lasst mich schön in Ruhe vor mich hin sabbern.“

Rydberg war die ganze Zeit im Kreis gesprungen, stand jetzt aber mit gestreckten Hals auf den Zehenspitzen und schaute in Richtung der Fensterfront.

„Süßer Arsch und geile Tittchen, Dein Schneewittchen.“

Büscheling kritzelte immer noch auf seinen Block Notizen und schaute erst jetzt in Rydbergs Blickrichtung.

„Da würde ich doch gerne mal zu schnell fahren und von der Dame verhaftet werden.“

Büscheling sah, dass Rydberg zum Stationsfenster hochschaute, war aber noch in seine Notizen vertieft.

„Stellt ihr heute auch nur noch nach Aussehen ein, wa?“, Rydbergs Grinsen war breit und sehr dreckig und Büscheling begriff erst jetzt, dass sein Jugendfreund offenbar seine Kollegin meinte, die dort oben am Fenster zusammen mit einer Stationsmitarbeiterin stand.

„Immer noch der Alte. Da muss man sich ja nicht so viel Sorgen machen.“, Büscheling stand auf und trat zwischen den keck grinsenden Rydberg und das Fenster.

„Wenn Du wüsstest…“, entgegnete Rydberg mit fester leiser Stimme ohne dabei sein Grinsen auszuschalten, „…aber das erzähle ich Dir irgendwann mal, wenn Du es hören willst.“

„Das will ich gerne. Jetzt muss ich mich erstmal um einen scheinbar sehr normalen Irren kümmern, der vielleicht nur irgendwo auf einer Bank sitzt…“

„Kein Irrer!“ Rydberg hauchte es nur so hin und bedeutete mit seinem Blick Büscheling zu schweigen.

„Keine Irren, glaube mir. Hier drinnen habe ich die normalsten und liebsten Menschen kennengelernt und die fehlen gerade alle da draußen. Der Schumann ist ein ganz Lieber und glaube mir, der macht keinen Scheiß.“

Rydberg hatte die Worte mit einem stechenden Blick in Büschelings Gesicht geschossen. Dieser wurde ein wenig rot an den Wangen.

War ihm nur so rausgerutscht und als er an die Damen dachte, die ihm da vorhin auf dem Flur begegnet waren mochte er es auch gar nicht glauben, dass er hier in einer Psychiatrie war.

„Sorry wegen der Irren. Ich werde das Ganze an den OPS übergeben und die Dringlichkeit klar machen.“

Büscheling schaute mit seinen ein Meter dreiundneunzig auf den drahtigen Rydberg hinab. „Aber Du weißt ja auch noch wie der Apparat läuft. Erst Fahndung – dann Hubschrauber – dann Wärmebild und Suchstaffel … Heute Abend wird da nichts großes mehr laufen.“, Büscheling schnaubte, „Und Du willst sicher auch nicht, dass ich deinen Namen da erwähne Herr OHK?“

„Nee, lass mal bloss stecken! Das reicht, wenn Du deinem Beifahrerhasen gleich alles erklärst. Die ist schon ganz neugierig.“

Rydberg winkte hoch zum Fenster, wo Rudolph irritiert aber offenbar auch amüsiert auf die beiden Männer hinabschaute.